Vor oder hinter, Ost oder West?
Der Literaturwissenschaftler Wulf Segebrecht besuchte Schulen in Königsberg in Ostpreußen und Kolberg in Westpommern, lese ich bei Wikipedia. Westpommern? Als Segebrecht geboren wurde, gehörte Kolberg (das heute auf Polnisch Kołobrzeg heißt und in der polnischen Provinz Pomorze Zachodnie, Westpommern liegt) zur preußischen Provinz Pommern. Die Karte zeigt deutlich, daß Kolberg im Osten Pommerns liegt und Rügen, Stralsund oder Greifswald im Westen. So what?
Unsere jungdeutschen Lexikonmacher übersetzen wahrscheinlich die Benennung in Polen nach 1945, als man die Gegend östlich von Hinterpommern („Pomerellen“) einschließlich Danzigs / Gdaņsk als östlicher Teil Pommerns Pomorze Gdańskie (Pomorze Nadwiślańskie) und das alte Hinterpommern eben Westpommern nannte. (Vorpommern heißt auf Polnisch korrekt, wenn auch aus polnischer Perspektive paradox Pomorze Przednie, „Vorderes Pommern“, obwohl es ja von dort aus „hinten“ liegt).
In der Sowjetischen Besatzungszone mußte das neue Land Mecklenburg-Vorpommern den Zusatz hinterm Bindestrich streichen. Erst in den 80er Jahrern tauchte das Wort „Pommern“ wieder auf, als im Gefolge des auch von der SED gefeierten Lutherjahres auch Bugenhagen als „Reformator Pommerns“ geehrt wurde. Seit 1990 gibt es wieder ein Land mit dem Namen Mecklenburg-Vorpommern. Und die Jungdeutschen interpretieren das jetzt als „Vor Pommern“ gelegen. Aber Stralsund und Greifswald gehörten von der Gründung an zum Herzogtum Pommern. Die Herzöge von Pommern trugen wie die von Mecklenburg slawische Namen, aber beide gehörten zum Deutschen Reich, Mecklenburg bis zur Abschaffung der Monarchie 1918 und als Land bis 1945, Pommern verschwand im 30jährigen Krieg mit dem Tod des kinderlosen letzten Herzogs und wurde zwischen Schweden und Preußen aufgeteilt. Und seit 1990 gehört der Westen Pommerns zur Bundesrepublik Deutschland. Daß das polnische Westpommern östlich vom deutschen Vorpommern liegt, gehört als Kuriosum zu den harmlosen Folgen des deutschen Krieges.