„Aber ich bin nicht Arndt“
Ludwig Börne: Briefe aus Paris
Zweiundsechzigster Brief
Paris, Mittwoch, den 14. Dezember 1831
(…) Aber mir kam in den Sinn, was wohl meine Ängstlichkeit entschuldigt, aber das Gefühl derselben nur noch bitterer macht. Ich bedachte: ein Pole, ein Spanier repräsentiert ein Vaterland, sein Volk steht hinter ihm; was er spricht, sind nicht Worte, er berührt Tasten, die Taten widerklingen, er erinnert, man hört nicht ihn, man hört die Vergangenheit, man sieht das weit entfernte Land. Aber was repräsentiere ich, an welche Taten erinnere ich? Ich stehe allein, ich bin ein Lakai und trage, wie alle Deutsche, die Livree des Grafen von Münch-Bellinghausen. Man hätte mich als einen Schriftsteller, als einen Redner beurteilt; man hätte mich, nachdem ich gut oder schlecht gesprochen, wie einen Schauspieler beklatscht oder ausgepfiffen. Da stockt das Blut, da steht die Zunge still. Mag sich schämen, wem es zukömmt. Arndt wäre freilich nicht in Verlegenheit gekommen. Er hätte gesprochen von den Sigambern und Cheruskern, von den Katten und Franken, von Alemannen, Friesen, Chaucen, Vandalen, Burgundionen, Quaden, Markomannen, Bojoariern, Hermunduren und Teutonen. Er hätte gesprochen – von Gauen, von Hermann dem Cherusker, vom Teutoburger Wald, von Maroboduus und den Hohenstaufen. Aber ich bin nicht Arndt. Ich kenne nur die Deutschen des Regensburger Reichstags und des Wiener Friedens, und die sind nicht weit her.
Ludwig Börne: Sämtliche Schriften. Band 3, Düsseldorf 1964, S. 399.
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