Barackenleben

3 Auszüge aus einem Prosatext von Angelika Janz

1.

Gleich rechts hinter dem Bahnübergang, unweit der ehemaligen Käserei, deren häßliche Verfallenheit sich als Inbild des Wendeelends seit Jahren am Rande des Dorfes, einstige DDR-Metropole für Fleischproduktion, bald kaum etwas mehr zu erzählen haben wird, unweit des hellblau gekachelten, seit einigen Jahrzehnten in seiner kargen, reclamelosen Einrichtung unverändert gebliebenen Fischladens, der nur für wenige Stunden in der Woche öffnet, gegenüber der alten Kornmühle, die seit der Wende allmählich vor der täglichen Zeugenschaft tausender vorüberfahrender Fahrzeuge und als Kulissenschutz vor dem prächtig dahinter verwilderneden Garten ein wenig würdevoller verfällt, hinter dem schwer zu schließenden, doch leicht zu überwindenden Eisentor gegenüber, da, wo die Pflasterung aufhört, wo sie, je nach Wetter und Einsatzstimmung den Schlamm oder Staub der Zugangs-und Zufahrtswege verschieben, kehren und harken, jene einander in den Nachwendejahren abwechselnden Brigaden der „Maßnahmen“, Menschen mit ausnahmslos müden Gesichtern, traumatisch langsamen Bewegungen, dort ist unsere Baracke, gegenüber der Klobaracke, die im Winter nur zu festen Zeiten und bei Frost gar nicht benutzbar ist,

dort ist nach letzten tiefen Zügen die eilig vor Arbeitsantritt entzündete Zigarrette im übervollen Aschenbecher aus Blech auszudrücken, der an die Form einer um-und ausgestülpten ägyptischen Pyramide erinnert.

2. Auszug

In den verbleibenden Räumen finden in wöchentlichen Abständen seit sieben in der Frühe Schulungen für die Kräfte aller Maßnahmen, zumeist ehemalige Arbeiter und Ungelernte aus der ehemaligen Tierproduktion statt, mager bestückte Klassenräume, in denen übermüdete, abgearbeitete, enttäuschte, gelangweilte Frauen und Männer für die Dauer eines Arbeitstages eingeschlossen sind, um von Arbeitsamt pflichtverfügt Landschaftsvermessung, Gütervermarktung, Demokratie-und Rentenkunde, Arbeitsrecht und Versicherungspraxis zu lernen, viel Mathematik ist dabei, – und alle 2 Stunden stehen 20 Leute fröstelnd und stumm im engen Eingangsbereich, die meisten rauchen, niemand ißt, niemand sitzt, weil es nichts zu sitzen gibt, niemand weiß, wohin sonst. Auf den ersten Blick bilden sie eine erschöpfte Front noch immer lauernden Mißtrauens, wenn du dir einen Weg durch ihr haltloses Zusammengehören bahnst, doch auf dein erstes Lächeln und eine ihnen zugewandte, banale Bemerkung reagieren sie als überaus freundliche, oft auch scheue, manchmal gar zu einem kleinen Witz aufgelegte Menschen, die an eigene Rechte keinen Gedanken mehr verschwenden, dort bleibend, wo man sie hingestellt hat, mit dem noch kleinen, unauslöschbaren Drang zu stillem, absichtsvoll unhörbarem Aufbegehren, das sich in kurz ausgestoßenen, einander bestätigenden Bemerkungen äußert. Viele veratmen Alkoholdunst, und oft erinnern sie mich an die stumme Karawane vor dem zollfreien Verkauf der nahegelegenen Fähre nach Polen: da verläßt niemand auf der kurzen Hin-und Rückfahrt das Schiff, allenfalls, um am Kai eine erworbene Flasche halb zu leeren, um das Anrecht auf den Kauf einer neuen zu erwerben.

3. Auszug

Bararackenleben, das ist die Institutionalisierung der Vorläufigkeit, arbeitstagefüllendes Ausweichen auf die unwandelbare Erkenntnis, ausgeliefert zu sein jeder Zumutung, die ein größeres Ziel aus vielen kleinen Schritten zusammendenkt. Wie war es damals, das Barackenleben vor 10, 15 Jahren? Eines ist sicher: es war immer gut beheizt.

Und wann hat die Entwertung der selbstbestimmten Arbeit oder wenigstens doch jener Arbeit, die sich mit einem sichtbaren Ertrag kenntlich gezeigt hat,, begonnen? In den Pausenzeiten und vor Feierabend treffen die Brigaden ein, die draußen an den Dorfrändern Wege anlegen für die Dauer eines ABM-Jahres, Wege, die tatsächlich nirgendwo hinführen, die unvermittelt in Unkraut und Gestrüpp abbrechen und die nach wenigen Monaten hoffnungslos zugewachsen sind, weil niemand sie erhält, unterhält, unbegehbare, sinnlose Wege in schwerer körperlicher Arbeit angelegt, sie graben Steine aus, schaffen sie weg, reißen das filzige Gras aus, durchsuchen, durchsieben das Erdreich nach Unkrautwurzeln, besäumen die Ränder mit schweren Baumstämmen, harken den gesäuberten, nun sandigen Boden bis zum Ende ihrer befristeten Arbeitstage-und Wochen, daß man darüber schweben möchte, und mit den klapprigen Schubkarren schaffen sie alles Unnötige fort, Unkraut, Astwerk, irgendwo nah am Wald entsteht so ein Refugium für Insekten und Kleintiere, bis…bis eines Tages der große Bagger kommt, in sinnloser Tat das einzig mit Chance Gewachsene lieblos wegschaufelt, abtransportiert, irgendwohin, wo es eines Tages wieder weggeschafft wird.

Hören Sie mehr in unserer nächsten Plattform-Sendung bei Radio 98,1 am Freitag, dem 26.11. 20-21 Uhr (Thema: Armut in Vorpommern)

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