Daniel Georg Morhof über Sibylla Schwarz (1682)

Vor allen dingen muß allhie nicht vorbey gegangen werden/ daß wir in Teutſchland Frauensperſonen gehabt/ und auch noch zur Zeit haben/ die die Maͤnner ſelbſt in der Tichtkunſt beſchaͤmen koͤnnen. Um das Jahr 1638. lebte Sibylla Schwartzin/ Herrn Chriſtian Schwartzen Fuͤrſtlichen Pommeriſchen geheimen Landraths uñ Burgermeiſtern der Stadt Greiffswald Tochter. Dieſe war traun ein Wunder ihrer Zeit/ dann ſie hat von dem dreyzehenden Jahr ihres Alters biß zum ſiebenzehnden/ worin ſie ſeelgen Todes verblichen/ Verſe geſchrieben/ die vor ſolche zarte Jugend und zwar einer Frauenperſon/ unvergleichlich ſein. Da zu derſelben Zeit Maͤnner/ die in ihrem vollſtaͤndigen Alter/ und nachgehends keinen geringen Ruhm in der Poeſie erworben/ ihr beyweiten nicht gleich gethan. Nach ihrem Tod ſein ihre Verſe von M. Samuel Gerlach zu Dantzig Anno 1650. in 4to heraußgegeben/ und mit des Herrn Paſtorii und Herrn Titii auffrichtigen Lobſpruͤchen beehret Dañ es iſt der Warheit allerdings gemaͤß/ was Herr Titius von ihr ſchreibet:

Hæc fuerat, ſi quà potuisſent rumpere fata
Teutonici Virgo gloria prima Chori.
Quos olim cantus annis provecta dediſſet,
Tam docto tangens ungue puella chelyn!

Weiln nun ihre Getichte in weniger Haͤnde ſein/ ſo will ich einige wenige Verſe hieher ſetzen/ Ut quemadmodum ex angue Leo, ita vel ex uno folio hæc Sibylla æſtimetur. Es leſe einer das Schimpfflied/ welches ſie auff den unadelichen Adel geſchrieben; es iſt warlich ſo ſinnreich und ſtachlicht/ als etwas koͤnte von dem beſten Geiſte erdacht werden. Zur Probe ſein etzliche Strophen aus dieſem Liede:

Wer den Weg der Demuth kennet/
Der iſt edel nur allein.
Wer ſich ſelbſt unedel nennet/
Der mag zweymahl edel ſein.
Der iſt edel von Gemuͤth/
Und nicht ſchlecht nur von Gebluͤht.
   Marius will nicht viel preiſen
Seiner Ahnen Ruhm und Schild/
Sondern will viel lieber weiſen
An ihm ſelbſt der Eltern Bild.
Denn es ſind nur bleiche Wangen/
Die mit frembder Roͤthe prangen.

Die andern Strophen die wir kuͤrtze halber nicht hieher ſetzen ſein gleiches Schlages. Die Sonneten/ die ſie geſchrieben/ ſein alle ſo gut als ſie ſein koͤnnen. Zur Probe ſey dieſes:

Iſt Lieb ein Feur und kan das Eiſen ſchmiegen/
Bin ich voll Feur und voller Liebes Pein/
Wovon mag doch der liebſten Hertze ſein?
Wans Eiſern waͤr/ ſo wuͤrd es mir erliegen/
Wanns Guͤlden waͤr/ ſo wuͤrd ichs koͤnnen biegen
Durch meine Gluht/ ſolls aber fleiſchern ſein/
So ſchließ ich fort: Es iſt ein fleiſchern Stein.
Doch kan mich nicht ein Stein/ wie ſie betriegen.
Iſts dann wie Froſt/ wie kalter Schnee und Eiß;
Wie preßt ſie dann aus mir den Liebes-Schweiß?
Mich ducht: Ihr Hertz iſt wie die Loorberblaͤtter/
Die nicht beruͤhrt ein ſtarcker Donnerkeil.
Sie/ ſie verlacht/ Cupido/ deine Pfeil.
Und iſt befreit fuͤr deinem Donnerwetter.

Die andern uͤbertreffen ſchier dieſes angefuͤhrte Exempel. Worauß dann zuſehen/ was in ihr fuͤr ein groſſer Geiſt geſtecket/ der in ſo zartem Alter ſchon ſolchen hellen Schein von ſich gegeben. Dieſes nimt mich aber Wunder/ daß man ſie nicht in groͤſſer Hochachtung gehalten/ ſondern noch dazu dieſer groſſen Gaben halber verleumbdet/ woruͤber ſie hin und wieder klaget/ welches ein unfehlbahres Kennzeichen der ungeſchliffenſten Grobheit iſt. Die alten Griechen und Roͤmer/ ja auch noch heute die Außlaͤnder haͤtten vielmehr unter ſolchen Exempeln die Ehre ihrer Nation geſucht; wie ſie dann dergleichen nicht verſchweigen/ kaum aber eins daß dieſem gleich in ſolchem Alter werden hervor bringen koͤnnen.

Quelle:

Daniel Georg Morhof: Unterricht Von Der Teutschen Sprache und Poesie/ deren Uhrsprung/ Fortgang und Lehrsätzen
Wobey auch von der reimenden Poeterey der Außländer mit mehren gehandelt wird.  Kiel: Reumann, 1682 (1. Auflage), S.438-442 (Digitalisiert beim Deutschen Textarchiv)