Das Jahr 1973
ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« Nr. 500
1973 beklagt die Welt der Kunst den Tod des spanischen Malers, Grafikers und Bildhauers Pablo Picasso. Ein Mann, der seinem Jahrhundert radikal den Spiegel vorhielt, es künstlerisch umstülpte. Man denke an sein imposantes Gemälde »Les Demoiselles d `Avignon« von 1907 oder an sein Monumentalgemälde »Guernica« von 1937, dessen Hauptmotiv ein Sinnbild des absoluten Leidens darstellt: das sterbende Pferd.
Nun schreiben wir das Jahr 1973. Ich bin 22 Jahre alt und notiere im Tagebuch des Jahres: »8. April, 16.10 Uhr. Erfahre soeben aus dem Radio, Pablo Picasso ist tot… War er nicht das erste und letzte Genie unseres Jahrhunderts? Dieses Genie wird kein Bild mehr malen, uns nie mehr ins Gewissen reden.«
Eindrücklich bis heute sind mir Picassos Worte vom Dezember 1937: Wer »mit geistigen Werten lebt und umgeht, angesichts eines Konflikts, in dem die höchsten Werte der Humanität und Zivilisation auf dem Spiel stehen, (darf) sich nicht gleichgültig verhalten.«
Nur einen Tag später bereite ich für die gerade gegründete Kleine Galerie im Kreiskulturhaus Bergen eine Hommage-Ausstellung für Picasso vor, mit Abbildungen nach Radierungen und Lithografien. Die Ausstellung konnte bereits am 10. April eröffnet werden, lese ich. Eine nachhaltige Erinnerung daran habe ich nicht mehr. Nur noch Tagebuchnotizen…
Sie berichten auch von einem ersten Besuch im Atelier Jastrams am 5. September und einem sich zehn Tage später anschließenden, längeren Werkstatt-Besuch, an dem auch Annelise Hoge teilnahm. »Wir erhalten einen Exkurs in Sachen Relieftechnik. Vor unseren Augen entsteht ein Relief aus Alabastergips, das er mir zum Schluss schenkt. Er zeigt uns Akt-Zeichnungen, Skizzen. Jastram wörtlich: keine eigenständigen Arbeiten, sondern Zeichnungen zur Plastik. Womöglich der Titel einer Jastram-Ausstellung in Bergen?! Wir trinken einen Wermut zu 6,80 Mark. Jastrams Worte beim Abschied: Ich mach alles, was ihr wollt!«
Es kommt in der Tat zu einer Ausstellung im Frühjahr 1974: »Akt-Zeichnungen von Jo Jastram. Arbeiten zur Plastik«, ausgestellt im Bergener Kulturhaus. So gesehen eine erste, auf Rügen viel beachtete Jastram-Ausstellung, lange vor den großen Expositionen…
Aus dem Katalogbuch Jo Jastrams »Das Tier in der Plastik« von 1992 lese ich dieser Tage: »… daß das Tier stehen kann für Menschenangst, Menschenhoffnung und Menschenmacht…« Jastram hat sich in dieser Deutungshoheit seit den 60er Jahren versucht und manch bemerkenswerten künstlerischen Beleg geliefert, so die Bronze »Schreiender Hengst« von 1977.
Unvergessen bleiben mir die ersten Besuche bei Jo Jastram in Rostock, damals im Herbst 1973; die Betroffenheit, die Offenheit und die Ermutigungen, die von seinem Werk und von seinen Worten ausgingen. ARTus