DDR-Identitäten

Vor einigen Jahren beteiligte sich die Autorin und Künstlerin Angelika Janz an einer Kunstausstellung im Greifswalder Dom zum Thema Greifswald. Sie war auf die Geschichte von Martin Bernhardt gestoßen, der mit Freunden zusammen Flugblätter verbreitete gegen den Plan der DDR-Obrigkeit, auf dem Markt einen überdimensionalen Fischerbrunnen aufzustellen. „Ihr habt Mitspracherecht“, stand darauf.  Der Brunnen wurde erst Jahre nach der Wende in wesentlich kleinerem Format und nicht auf dem Markt, sondern auf dem Fiscvhmarkt aufgestellt. Sie veranstaltete eine Performance, bei der sie die Vorgeschichte des Brunnens mit Kreide auf den Brunnenrand schrieb. Die Aktion wurde fotografiert und die Fotos im Dom ausgestellt.

Während der Aktion fragte eine Passantin unseren Mitarbeiter Michael Gratz, was da geschehe. Als sie das Anliegen erfuhr, sagte sie, sie habe das Gefühl, man wolle ihr ihre DDR-Identität nehmen. Mit der Künstlerin selber wollte sie nicht sprechen. Michael Gratz sagte ihr: „Aber Martin Bernhardt hatte doch auch eine DDR-Identität.“

Aus dieser verbürgten Anekdote stammt der Titel unseren heutigen Sendung. Wir recherchierten verschiedene Beispiele von DDR-Identitäten.

Zuerst Martin Bernhardt. Geboren 1961 in Greifswald, wo er 1980 ein Medizinstudium begann. Er schrieb Gedichte, machte Fotos und Kurzfilme, beschäftigte sich mit Mailart und engagierte sich in der evangelischen Studentengemeinde. Natürlich beobachtete ihn die Stasi, und 1985 wurde er von einer inoffiziellen Mitarbeiterin an die Stasi verraten. Weil während einer Buchpremiere eine DDR-Fahne verbrannt wurde, wurde er zusammen mit einem Freund wegen „Mißachtung staatlicher Symbole“ zu 5 Monaten Haft verurteilt. Erst gegen Ende der DDR konnte er sein Studium abschließen. Er wurde Facharzt, zuletzt als Oberarzt in Ueckermünde. Mit 39 Jahren, im Oktober 2000, nahm er sich das Leben. 10 Jahre nach seinem frühen Tod erschienen seine gesammelten Gedichte in einem Buch, das Michael Gratz für uns gelesen hat.

Plattform auf Radio 98eins

Unsere Literatursendung in jeder ungeraden Woche, Freitag, 20-21 Uhr.

Heute abend zum Thema DDR-Identitäten (u.a. mit einer Rezension des Gedichtbandes „Das Maß allen Lebens ist die Axt, sagt der Baum“, der 2010 im Verlag Lutz Wohlrab erschien).

Regional auf UKW 98,1, oder als Livestream auf www.98eins.de (danach abrufbar als MP3)