der das Leben liebt

ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« Nr. 520

Im Sommer 2010 las ich unter dem ausladenden Blätterdach zweier altehrwürdiger Blutbuchen des ziemlich versteckt im Südwesten Rügens liegenden Götemitzer Gutsparkes Texte des fast in Vergessenheit geratenen Dichters Max Herrmann, der als Max Hermann-Neisse unter die einsamen Heroen zumindest der deutschen Literaturgeschichte Einlass gefunden hat.

Das Gedicht »Sommerlich die Gärten tönen« schien mir einen überaus anregenden, so gesehen nicht nur historisch »passenden« Bezug zum Projekt »Faszination Natur« des Naturschutzbundes Rügen zu liefern. Nun, mit dem Vorliegen des abschließenden Dokumentationskataloges und seiner Übergabe an die Sieger und Förderer des Wettbewerbes am 25. Mai 2011 in Bergen auf Rügen, fand das öffentlich vielbeachtete Projekt für engagierte Unruheständler unter den Senioren seinen würdigen Abschluss, genau zwei Tage nach dem 125. Geburtstag des Dichters.

Grund genug, das Herrmann-Neisse-Gedicht noch einmal in Erinnerung zu rufen:

»Sommerlich die Gärten tönen, / singen Vögel, rauscht das Laub. / Hinter all dem zärtlich Schönen / geht die Raserei auf Raub. / Sie verstockt sich, nicht zu hören / auf des Lebens Harmonie; / stets nur konnte sie zerstören, / was in Friedlichkeit gedieh. / Wir, die dankerfüllt genießen, / was in Busch und Baum geschieht, / die sich gern bezaubern ließen / durch der Jahreszeiten Lied, / wittern plötzlich das Verderben, / das mich, der das Leben liebt, / dennoch lässt gewaltsam sterben, / wenn es alles dies noch gibt, / ungestört vom Bomber-Dröhnen, / gegen Schlachter-Donner taub; / sommerlichen Glückes Tönen, / Lerche und bewegtes Laub.«

Der kleinwüchsige Mann mit Glatze war für Berliner Künstler der Zwanziger Jahre das gefundene Modell. Neben Meidner und Kokoschka war es Grosz, der als Chronist seiner Zeit mit dem Zeichenstift als Skalpell die Gesellschaft zu demaskieren verstand und der ihn 1925 und 1927 akribisch skizziert und gemalt hat.

Herrmann-Neisse 1929: »Ganz zu Hause fühlte ich mich stets auch bei George Grosz. Wir hatten ungefähr dieselbe Gesinnung und Stimmung, dieselbe Sammlerneigung… Wir waren beide sowohl Lyriker als Zyniker, korrekt und anarchisch! Ich saß ihm unzählige Male herzlich gern (Modell), war in seinem Atelier selig geborgen… Er arbeitete an meinem Porträt mit einer Sorgfalt, die das Schaffen ganz ernst nahm.«

Die 1927 entstandene Zeichnung zum zweiten Ölgemälde war mit der persönlichen Widmung »meinem lieben Freunde« von Grosz versehen und hing in den Jahren des Londoner Exils in der Wohnung des Dichters, der am 8. 4. 1941 an Herzversagen starb und an den Gebrechen einer Zeit, »die er verachtete und verfluchte« (Stefan Zweig) und »gegen die jeder zivilisierte Mensch Stellung nehmen muß.«

ARTus

Vor 125 Jahren wurde der Dichter Max Herrmann-Neisse geboren. Zeichnung: ARTus