Der Vermittler
ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« Nr. 489
Die Jubiläen schlagen in diesem Jahr en masse zu Buche. Vor zwanzig Jahren kam so gesehen über Nacht die Zeit der alles umwälzenden Abenteuer und die der gerissenen Abenteurer. Lange abgeschottete Gipfel wurden bezwungen, mitunter in den Schoß gefallene Siege enthusiastisch gefeiert. Danach, auf den mühsameren Wegen und im Trott des Alltags erstarb manch schöne Hoffnung, die arg schnell erblühte Liebe, das eilfertig glorifizierte Abenteuer, die sogenannte friedliche Revolution, die ihre Kinder nicht mehr frisst, aber zahnlos macht.
Der plötzlich grenzenlose Blick auf die vermeintlich immer blühenden Landschaften des Morgen, verhaftet im trunkenen Taumel des beständigen Wachstums, schielte viel zu oft und aus Kalkül auf ungeahnte Möglichkeiten, erhob sich nicht selten über das verträglich Machbare.
Was wussten wir eigentlich, überrannt vom Wahn einer gedankenlos geförderten egozentrischen Weltsicht, von der Schönheit der Naturwelt neben uns, einer Welt, die keine nennenswerte und schon gar nicht eine gut betuchte Lobby hat?
Bilder und Worte über Bilder dieser schützenswerten Noch-Welt in den Fokus unserer leider viel zu narzistischen Ausrichtung zu stellen, ist selbst gestellte Aufgabe von Vermittlern, die es zum Glück noch gibt. Dank ihrer Sensibilität und ihrer Vor-Ort-Erfahrungen schlagen sie Brücken zwischen Mensch und Natur.
Jürgen Reich, bis 1990 im Zoologischen Garten Rostock als Vogelpfleger und Revierleiter tätig, bekannt geworden durch seine im Hinstorff Verlag Rostock Jahr um Jahr erschienenen Bücher (eine Augen- und Leseweide für Freunde der Natur!), gehört für mich zu den Auserwählten. Sie sind es, die uns zum Teilhaber einer Wunderwelt küren, die es wohl längst nicht mehr gäbe, hätten wir sie nicht vor uns selbst unter Schutz gestellt.
Vor zwanzig Jahren wurde der »Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft« ins Leben gerufen. Unter Schutz gestellt als eine faszinierende Region, die vom wilden Darßer Weststrand bis nach Westrügen reicht und die Insel Hiddensee mit einschließt. Wo, fragte Jürgen Reich am vergangenen Donnerstag in die Runde seiner scheinbar eingeschworenen Fan-Gemeinde in der Bergener Pommerschen Volksbank, gibt es sonst noch so eine Boddenlandschaft? Die Antwort folgte umgehend: Es gibt sie nur (noch) hier! Wir sollten es wissen und Sorge dafür tragen, dass die Unterschutzstellung seine Stellung hält: auch Morgen und Übermorgen. Vor einem Jahr, fast auf den Tag genau, schenkte uns Jürgen Reich schon einmal »sein Reich«, das wir auch unser Reich nennen könnten, hielten wir »die notwendige Balance im Minimum« unserer oft radikalen Eingriffe.
Möge Jürgen Reich nach 2009 und 2010 auch 2011 nach Rügen kommen, uns ins Gewissen reden mit seinen Bildern und Worten über das Noch-Existierende. ARTus