Die Aktion von Franz Pfemfert
ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« 572
Von Walter G. Goes (Bergen/Rügen)
Am 21. Mai 1913 erschien in der von Franz Pfemfert herausgegebenen Wochenschrift für Politik, Literatur, Kunst Die Aktion, das im Simultanstil verfasste, heute als Jahrhundertgedicht gefeierte »Weltende«-Gedicht des vor 125 Jahren geborenen und 1942 von den Nazis in Sobibór ermordeten Jakob van Hoddis.
Ganze 57 Wörter stellten die Welt auf den Kopf, gaben einer um Expressivität ringenden jungen Generation eine spektakuläre Form, mit der sich so gesehen die Avantgarde der Künstler identifizieren konnte und wollte: »Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut, / In allen Lüften hallt es wie Geschrei. / Dachdecker stürzen ab und gehen entzwei, / Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut. // Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen / An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken. Die meisten Menschen haben Schnupfen. / Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.«
Franz Pfemfert muss um die prophetische Qualität und damit um die Bedeutung des Textes geahnt haben. Schon zwei Jahre zuvor hatte er es in der radikal-demokratischen Zeitschrift Der Demokrat publiziert, der er damals noch als Schriftleiter vorstand. Die Wirkung war exorbitant: »Diese acht Zeilen entführten uns. Immer neue Schönheiten entdeckten wir…, wir sangen sie, wir summten sie, wir murmelten sie, wir pfiffen sie vor uns hin. Wir riefen sie uns gegenseitig über die Straße hinweg zu wie Losungen, und wir schworen uns, eine Unruhe zu stiften, dass den Bürgern Hören und Sehen vergehen sollten und sie es geradezu als Gnade betrachten würden, von uns in den Orkus geschickt zu werden.«
Das schrieb, man fasst es nicht, der spätere Kulturminister der DDR, Johannes R. Becher. Damals, unmittelbar vor dem ersten großen Völkermorden, war Becher selbst vom expressionistischen Bazillus befallen. Allerdings blieb Pfemfert, anders als Becher, auch später seinen Idealen treu und unterstützte jedes aktive, experimentelle, undogmatische, linksrevolutionäre Ansinnen nach Kräften.
Wen der kompromisslose Pfemfert mit Texten und Bildern in seiner Aktion ein Podium bot, der war im Himmel der Literatur- und Kunstgeschichte angekommen. Fast vergessen, nur unterstützt von der Witwe Trotzkis, starb Pfemfert in seinem Exilland Mexiko am 26. Mai 1954 an Leberkrebs. ARTus