Die Natur

ARTus-Kolumne »So gesehen« Nr. 534

Aufmerksamkeit ist das wichtigste Potential unserer Zeit. Sie fördert und fordert uns. Wer mit offenen Augen Welt betrachtet, wird sich seiner Rolle im Leben bewusster. So gesehen werden Menschen, die sich auf Entdeckerpfaden befinden, immer etwas glücklicher, zufriedener sein. Die in der Nähe und Ferne gewonnenen Freuden wirken ansteckend, auf die Familie, auf Freunde, auf Menschen unterschiedlichster Herkunft, auf Fremde, die mitunter sogar zu Freunden werden.

Ich durfte 2011 für kurze Zeit Gast in einem Refugium auf Rügen sein, das sich Renate und Axel Kasiske schufen und sich damit einen Traum erfüllten. Ein kleines Paradies im Zusammenklang von Haus und Garten, das zu bezaubern versteht. Ein Ensemble, das behutsam wächst, umsorgt und gepflegt wird. Ein Garten zwischen Ernst und scheinbar spielerischem Einfallsreichtum als Spiegelbild sehr ungewöhnlicher Träume, das von Reisen in ferne Länder erzählt, aber auch von intensiven Begegnungen mit der Natur vor Ort, der man sich in Liebe und Demut nähert. Leben im Einklang mit der Natur. Wo es in den großen Zusammenhängen mit schlimmen Auswirkungen verlernt wurde, hier hat es beispielhaft im Kleinen Gestalt angenommen.

Über die Natur ist so unendlich viel gesagt worden, aber den Sätzen des Johann Wolfgang von Goethe über »Die Natur« etwas hinzufügen zu wollen, das wäre Blasphemie. Darum soll ARTus schweigen und Goethe aus seiner Schrift des Jahres 1783 im September 2011 zitiert sein. Eine Nachlese für Renate Kasiske, die in diesem Monat einen runden Geburtstag begeht und denen, die im Einklang mit der Natur ihre Stimme als FreundIn und PartnerIn einbringen. Ich kann mir keine bessere Wahl vorstellen:

»Natur! Wir sind von ihr umgeben und umschlungen – unvermögend aus ihr herauszutreten, und unvermögend tiefer in sie hineinzukommen. Ungebeten und ungewarnt nimmt sie uns in den Kreislauf ihres Tanzes auf und treibt sich mit uns fort, bis wir ermüdet sind und ihrem Arme entfallen.

Sie schafft ewig neue Gestalten, was da ist war noch nie, was war kommt nicht wieder – Alles ist neu und doch immer das Alte.

Wir leben mitten in ihr und sind ihr fremde. Sie spricht unaufhörlich mit uns und verrät uns ihr Geheimnis nicht. Wir wirken beständig auf sie und haben doch keine Gewalt über sie.

Sie scheint alles auf Individualität angelegt zu haben und macht sich nichts aus den Individuen. Sie baut immer und zerstört immer und ihre Werkstätte ist unzugänglich.

Sie lebt in lauter Kindern, und die Mutter, wo ist sie? – Sie ist die einzige Künstlerin: aus dem simpelsten Stoffe zu den größten Kontrasten: ohne Schein der Anstrengung zu der größten Vollendung…« ARTus

Paradiese gibt es nicht. Es sei denn, man schafft sie sich. Bei Renate und Axel Kasiske in Sehlen auf Rügen fand ich eins. Zeichnung: ARTus