Ein Fest für die Orangerie

ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« Nr. 635 • 26. Oktober 2013

von Walter G. Goes (ARTus) • Bergen auf Rügen

»Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland«, so nennt sich ein Haibun, ein zur Materialsammlung von Texten geronnenes Reisetagebuch des bedeutenden japanischen Dichters Matsuo Bashô (1644–1694). Die Reise, die Bashô im Jahr 1689 in die nördlichen Provinzen von Honshu unternahm und die er als innere und äußere Reise verstanden wissen wollte, war für den Dichter eine Übung im Unterwegs-Sein mit Worten.

Aus dieser Materialsammlung hat der Bildhauer Rainer Fest, der seine vielseitige Arbeit auch vom künstlerischen Unterwegssein in verschiedene Materialwelten und Genres begreift, im Jahr 2005 ein Schriftobjekt aus Eiche, Buchsbaum, Birke und Hirschleder realisiert, so gesehen künstlerisch zum Leben erweckt, das den Bashô-Text gleichsam zum spielerisch aufregenden, zum eindringlichen Leseobjekt kürt. Wir Betrachter wandern mit unseren Augen von Zeile zu Zeile und erleben eine gleichnishafte Erweckung eines vor über 300 Jahren entstandenen Textes ins Hier und Heute.

Bashô: »Sonne und Mond, Tage und Monate / verweilen nur kurz als Gäste ewiger Zeiten, // und so ist es mit den Jahren auch: / sie gehen und kommen, sind stets auf Reisen. // Nicht anders ergeht es den Menschen. Die / ihr ganzes Leben auf Booten dahinschaukeln lassen, // oder jenen, die mit ihren am Zügel / geführten Pferden dem Alter entgegenziehen: // tagtäglich unterwegs, machen sie das / Reisen zu ihrem ständigen Aufenthalt.«

Rainer Fest nennt sein Schriftobjekt »Stillstand« und konterkariert damit eigene Erkenntnisse, die wir als Leser den Bashô-Zeilen entnehmen. Aber: Sind es nicht gerade jene In-Frage-Stellungen, die uns weiterbringen, die unser Nach-Denken einfordern?

Matsuo Bashô hat große, weltbewegende Themen durch stark reduzierte Naturbilder ausdrücken können. Rainer Fest gelingt das auf kongenial andere Art und Weise. Mit einem unaufdringlich sanften Appell an den Spiel-Raum unseres Geistes, in dem auch Gegen-Sätze ihr Forum finden sollten.

Was für ein FEST der Phantasie in der Orangerie! ARTus

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