Erich Mühsam blieb unbeugsam!
ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« 617 • 6. April 2013
von Walter G. Goes (Bergen/Rügen)
Seit 2011 verwöhnt der Berliner »Verbrecher Verlag« eine interessierte Leserschaft mit einer vorbildlich von Chris Hirte und Conrad Piens edierten Ausgabe von Mühsams Tagebüchern, soweit sie noch vorhanden sind. Von den überlieferten 42 Heften im Format A5 sind sieben bis heute nicht wieder aufgetaucht. Sie dürften noch immer in den sakrosankten Tresoren geheimdienstlicher Mächte in Moskau lagern, so gesehen noch immer als Ketzerschriften eines unorthodoxen Linken gelten. Zu unverblümt hatte Mühsam von »den marxistischen Hanswursten in Moskau« geschrieben.
Wer Geschichte en detail deuten und das unglaubliche Vernetzungsknäuel als Kapital menschlicher Kontakte Mühsams analysieren möchte, lese in den bislang erschienenen Bänden und freue sich auf noch ausstehende.
Übrigens: In einer bemerkenswerten DDR-Dokumentation zum Gedenken an die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933, erschienen 1983(!) im Gustav Kiepenheuer Verlag Leipzig und Weimar, nannte der Historiker Jürgen Kuczynski den Autor Mühsam offen einen großartigen Menschen: » … was für ein mutiger Kämpfer für den Fortschritt war er bis zum letzten Tag seines Lebens, das durch faschistischen Mord im Konzentrationslager (Oranienburg) endete. Wir sollten mehr über ihn schreiben, über ihn, den seine Schergen zwingen wollten, das Horst-Wessel-Lied zu singen, und der gebrochen und zerschlagen … die Internationale sang.«
Mühsams Gedicht Bürgers Alpdruck von 1920 könnte übrigens dieser Tage geschrieben sein. Nicht ohne Staunen las ich kürzlich seine fünf Strophen und zitiere beispielhaft die dritte: »Ja, Bürger, ja – die Erde bebt. / Es wackelt deine Habe. / Was du geliebt, was du erstrebst, / das rasselt jetzt zu Grabe, / Aus Dur wird Moll, aus Haben Soll. / Erst fallen die Devisen, / dann fällst du selbst zu diesen.«
Ja, über Mühsam sollte mehr denn je geschrieben werden! ARTus