Fallada in Greifswald

Begleitmaterial zur Tafel 1 / Literatur & Pommern

Das besetzte Geburtshaus
Strafgefangener Zelle 32

Das besetzte Geburtshaus

Gespräch mit ehemaligen Bewohnern

H.K.: Angefangen hat das damit, daß ich als Student in Greifswald eine Bleibe suchte. Dabei machte ich die Erfahrung, daß man dafür die Bausubstanz, die allerorten leer stand, nutzen kann. Vorher hatte ich in der Scharnhorststraße gewohnt, unter ganz furchtbaren Verhältnissen, mit den Ratten zusammen, und bin durch irgendwelche Assis, die mich dann tatsächlich bedrängt haben, rausgeflogen. So habe ich unter anderem hier in der Steinstraße gesucht, immer wo die Fenster leer waren. Dann also kam ich hier an. – Das Haus war nicht völlig leer; unten, in der ehemaligen Ditzen-Wohnung, lebte ein Arztehepaar und in der Mansarde eine alleinstehende Frau mit zwei Kindern. Diese Wohnung hier im ersten Stock stand leer, auch die im Hinterhaus übrigens. Ich wollte eigentlich hinten einziehen und habe ein ganz nettes Gespräch mit dem Arzt an der Haustür geführt – er schien mir ganz sympathisch. Jedenfalls, als ich auf das Hinterhaus anspielte, fragte der: »Suchen Sie eine Wohnung? Na, dann los, gehen wir mal hin.« Dann holte er seinen Dietrich raus, fand ich irgendwie erfrischend, hat hinten aufgeschlossen. Da bin ich rein und war richtig begeistert. Das war alles bestens – und dann bin ich am nächsten Tag eingezogen.

K.K.: Aber der Ofen hat nicht funktioniert.

H.K.: Ja, klar: ein paar Schwierigkeiten gab’s auch. Wir sind dann später auch wieder ausgezogen, weil das ehemalige FDJ-Klubhaus hier an der Rückwand war, und da haben dann irgendwelche Bands geübt, und wenn ich nach den Vorlesungen ein bißchen Ruhe brauchte, fingen die an mit ihren Bluesrhythmen. Jedenfalls zogen wir dann da raus …

K.K.: Da war ich der treibende Keil.

H.K.: Ja, sie hat mich immer aufgestachelt: Los, da oben ist frei, da ziehen wir ein.

K.K.: Das war Ende 1987.

H.K.: Das war eine richtige Wohnungsbesetzung – so kann man das nennen. Das war natürlich illegal, aber man hatte natürlich schon bestimmte Erfahrungen, sich abzuducken. Deshalb bin ich ja auch erst mal in das Hinterhaus gezogen – weil das nach vorn raus aufgefallen wäre. Die vordere Wohnung hat uns natürlich auch von den Dimensionen gelockt. Katharina hat also den Arzt immer wieder angestachelt, was denn da oben wäre. Wir sind dann mit Hammer und Zange mal hoch, haben die Tür aufgebrochen – das war alles barbarisch vernagelt, jede Tür einzeln, mit den längsten Nägeln, die sie hatten. Aber wir waren ganz erschlagen von der Pracht dieser Räume. Die hatten hier von der Wohnungsverwaltung so eine Art Bauwagen eingerichtet, also Materiallager und Arbeiterunterkunft für eine Dachdeckerfirma, die hier in der Steinstraße Dächer gedeckt hat. Das führte natürlich dazu, daß nachts fast wöchentlich hier Einbrüche waren. Die arme Frau mit den zwei Kindern ganz oben ist fast gestorben, als das hier unten nachts immer tobte, die saß ja oben wie eine Maus in der Falle. Sie war dann so fertig, daß sie zur Polizei ging und sagte, sie wüßte nicht mehr, wo sie hin sollte, und man sagte ihr: »Suchen Sie sich doch Studenten, die da unten wohnen.«

K.K.: Wohnungsamt und Polizei haben sich nicht für die Bewachung der Wohnung kompetent gefühlt. Das war irgendwie witzig.

G.M.-W.: War das Haus denn bereits aufgegeben?

H.K.: Eigentlich nicht. An der Straßenseite lief der Regen von den Dachgauben bis in den Keller, der Schwamm hatte schon mächtig Fuß gefaßt, die Pilzkonsolen kamen da schon aus den Dielen heraus – eine richtig widerliche Landschaft, die da entstanden war. Das Arztehepaar hatte diese beiden Räume schon aufgegeben. So hatten wir uns erst mal in das große Zimmer zum Hof raus zurückgezogen – aus Angst. Da waren die Scheiben alle eingedrückt und riesige Spanplatten davorgesetzt, zum Boden hin abgestützt und mit riesigen Nägeln in den Dielen »gesichert«. Das sah tierisch aus. Aber immerhin: Der Ofen war intakt. Hier ging eine Wasserleitung durch mit einem Abfluß und war ein Waschbecken drin. Es war ganz offensichtlich so, daß hier nach dem Krieg mehrere Parteien drin gewohnt haben …

Aus: Das besetzte Geburtshaus. Gespräch mit Greifswalder Studenten im Fallada-Haus (Katharina Kühne, Hagen Kühne, Inka Wolfermann, Antje Brecht). In: Gunnar Müller-Waldeck, Roland Ulrich (Hrsg.): Neues von Daheim und zu Haus. Erinnerungen an Hans Fallada. Gespräche, Betrachtungen, Dokumente. Berlin: Ullstein, 1993, S. 205f

Strafgefangener Zelle 32

Aus Falladas Gefängnistagebuch

Montag, den 7. Juli 1924

Diese Woche hat sehr gut angefangen. Der Sonnenschein, der über diesem Montag lag, begleitet mich hoffentlich weiter.

[…] In der Nacht lag ich ein paar Stunden wach. Draußen rauschte der Regen, die Wanzen plagten mich wieder einmal sehr. Vielleicht wollten sie mir zeigen, daß sie meine gestrigen Giftangriffe verlachten. Eine fing ich, als sie an meiner Backe entlanglief. Drei, vier weitere am Morgen. Ich war so unternehmungslustig aufgewacht, daß ich beschloß, gleich noch einmal mein Bett mit Wanzentinktur auszupinseln. Es geschah, und ich arbeitete so rasch, daß ich bis zum Kübelholen auch noch die Zelle gefegt und aufgewischt hatte, trotzdem ich nun weiß, daß ich nur einmal wöchentlich zum Aufwischen verpflichtet bin.

Dann fuhren wir Holz in das Haus Karlsplatz 18, jenes Haus, in dem ich vor einunddreißig Jahren geboren bin. *

Und zum ersten Male wurde ich nicht zum Abladen kommandiert, sondern wurde auf den Boden zum Aufpacken geschickt. Ich habe auf diesem Boden mit seltsamen Gefühlen unsern Arbeitgeber, einen Professor, für uns um ein wenig Rauchtabak und Streichhölzer angebettelt. Er war sehr nett, sagte alles zu, falls wir es annehmen dürften, und plauderte mit mir. Als er nach meinem Beruf fragte und ich sagte: »Schriftsteller«, stutzte er ein wenig.

 »Schriftsetzer, nicht wahr?«

 »Nein, Schriftsteller.«

 »Sie schreiben für Zeitungen?«

 »Nein. Romane.«

Und wir unterhielten uns weiter über Kurzsichtigkeit und die Stärke unserer Brillengläser. Irgendeine Frage nach Namen etc. tat er gottlob nicht. Und, nachdem er jeden von uns mit sechs Zigarren und zwei Schinkenbroten bewirtet hatte – Oberwachtmeister Ulrich war so anständig gewesen, keine Einwendungen gegen die Annahme von Rauchwaren zu erheben –, drückte er ihm und auch mir die Hand.

»Die … jungen Leute haben sehr gut gearbeitet.«

Ich glaube, wir waren an diesem Vormittag alle ein wenig vor Freude aus dem Häuschen. Ich besonders, dem er noch heimlich eine Schachtel mit Streichhölzern in die Hand gedrückt hatte.

Aus: Hans Fallada, Strafgefangener, Zelle 32. Tagebuch 22. Juni – 2. September 1924. Hrsg. Günter Caspar. Berlin: Aufbau, 1998, S. 93f

*) Hier täuscht ihn die Erinnerung. Geboren wurde er im Haus Steinstraße 58. Erst mit 2 Jahren zog die Familie an den damaligen Karlsplatz, dieses Haus hat sich dem Kleinkind eingeprägt.