Geschichte lichten – als Aufgabe!
ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« 618 • 13. März 2013
von Walter G. Goes (Bergen/Rügen)
Ich habe in meinem bisherigen Leben noch nie so viele makellose Ciclaster und Echinocorys als versteinerte Seeigel gesehen, wie an einem dieser letzten Märztage, der mich in das Haus der Familie Hofmann nach Trent auf Rügen führte. Es galt Informationen über Hans-Henning Hofmann einzuholen, den viele seiner Freunde bis heute »das Gedächtnis von Trent« nennen und der am 13. März an den Folgen einer heute immer noch unheilbaren Krankheit verstarb.
Menschen wie er sterben so gesehen immer zu früh. Der Vorhang des Lebens, den sie für andere mit beispiellosem Engagement, mit Umsicht und Ausdauer aufziehen, bemüht Geschichte lebendig und nachvollziehbar zu illustrieren,- er senkte sich für ihn zu früh.
Hätten es nicht auch 18 Bücher seiner Aufzeichnungen werden können? Wären da nicht doch noch bislang unentdeckte Zeugnisse, Spuren lokaler Geschichte aufzufinden gewesen, etwa bei entfernten Verwandten von Trenter Einwohnern, längst Verzogenen und… hätten sie nicht noch in seine Studien mit einbezogen, zusammengefasst werden können?
Hans-Henning hatte ein Gespür für kleinste Details, für Funde, die er in größere Zusammenhänge einzupassen wusste. Sein sehr persönlicher Nachtrag im opulenten Band 700 Jahrfeier Trent auf Rügen von 2011 las ich mit großer Betroffenheit: »Als ich als kleiner Knabe gerade so schlecht und recht lesen konnte, nahm mein Großvater Franz Ahrens mich mit auf den Friedhof. Er selbst nahm am Ersten Weltkrieg als MG-Schütze vor Verdun teil. Wir standen vor dem Kriegerdenkmal, ich las nun: Süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben. Mein Großvater sagte: Keiner der 45 jungen Männer hatte einen süßen Tod, und der Angriffskrieg hatte auch nichts Ehrenvolles an sich.«
Die vom Efeu nicht überwucherten Zeilen des Denkmals entzifferte ich am 6. April 2013, noch vor den in der Kirche gehaltenen Trauerreden. Für einen Moment schien sich der Vorhang der Geschichte zu lichten, war mir Hans-Henning Hofmann, das Gedächtnis von Trent, sehr nah. ARTus