Grenzen der Zeit
ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« Nr. 523
Peter Schamoni hat immer Filme realisiert, die er machen wollte. Ihn trieb nicht der Wahn zur Zahl einer immer noch größeren Filmausbeute und schon gar nicht der so genannte »Mainstream«. Ihn trieb die Liebe zu elementaren, oft künstlerischen Filmstoffen. Er allein traf die Wahl. Einige Ideen fielen ihm scheinbar schicksalhaft zu. Hatte er ihre adäquate Form gefunden, fasste er sie in überzeugende Bilder, in Filmen, die nachhaltig Zeugnis ablegen von Haltungen.
Schamonis Filme waren immer einzigartig und glaubwürdig. Man konnte nach ihnen süchtig werden. Ich wurde es. So sehr, dass ich auch im Nachhinein noch immer nicht begreifen kann, was mir im Sommer vor der »Wende« auf Rügen passierte.
Ich hatte eine Tagestour auf dem Fahrrad vor mir, wollte auf etwas abseitigen Wegen rund um Bergen mehr oder weniger vergessene Hügelgräber aufsuchen, sie skizzieren, vielleicht auch ihr Eingebundensein in den Gesamtkontext der für Rügen typischen Natur notieren. Ich vergaß über all dem die Zeit…
Im Bergener Kino war an diesem Sommertag – als Sondervorführung zu früher Abendstunde – Peter Schamonis Spielfilm von 1986 »Caspar David Friedrich – Grenzen der Zeit« angekündigt. Den wollte, den musste ich sehen!
Im Vorfeld hatte ich schon viel von Schamoni gehört und einige seiner Arbeiten gesehen. So den 1973 entstandenen Dokumentarfilm über den Maler Friedensreich Hundertwasser und den »Frühlingssinfonie« genannten Spielfilm von 1982, der die Liebesgeschichte von Robert Schumann und Clara Wieck thematisiert. Übrigens ein Film, der eine erste spektakuläre Kooperation mit der DEFA in den 80er Jahren dokumentiert und wie der Friedrich-Film an Originalschauplätzen in der DDR gedreht wurde. Ich verpasste den Spielfilmbeginn um knapp 15 Minuten.
Ob man noch eine Karte kaufen könne für »Grenzen der Zeit«, fragte ich völlig naiv die Kartenverkäuferin und erntete den mich fassungslos machenden Satz: »Sie sind der Erste, der sich für diesen Film interessiert.« Als ich mich mit dem Kauf weiterer vier Karten einverstanden erklärte, kam ich in den Genuss einer exklusiven, nur mir geltenden Filmvorführung und war selig. Da fand ich mich aufgehoben in der doch gerade erst erlebten Rügen-Natur, in durch Friedrich wie Schamoni unmerklich abstrahierten und raffiniert zusammengefassten Bildsequenzen. Die Person Friedrich taucht im Film nie auf, wohl aber fühlt man sich beständig im Sog seiner Gedanken und Bilder. Was für ein genialer Kunstgriff Schamonis.
Und der fand kein weitergehendes Interesse auf Rügen? Ich war damals ziemlich sprachlos und bin es gelegentlich noch.
Im Erfinden von Pseudoweltrekorden, in der blinden Jagd nach dem eitlen Muss, gerät die Vorstellung von Kunst und vom Künstler zum dämlichen Stuss. ARTus