Hans Tichas Bilderwelten als Geschenk
ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« 604 • 5. Januar 2013
von Walter G. Goes (Bergen/Rügen)
Unter allen mir geschenkten Büchern zum Weihnachtsfest ragt ein Ernst-Jandl-Buch wie eine Leuchtturmspitze aus dem Bücherstapel hervor.
Der Band Aus dem wirklichen Leben wurde bereits im Jahr 2000 bei Steidl in Göttingen gedruckt und ist mit der Originalsignatur seines Illustrators versehen. Die Texte wurden von Klaus Siblewski für die Lesergemeinschaft der Büchergilde Gutenberg zusammengestellt.
Mag sein, dass ich das Buch deswegen vor 13 Jahren übersah. Mir liegen um Verbindlichkeiten nachsuchende Büchergeber-Gesellschaften wenig, hier aber hat man seiner Klientel ein bibliophiles Kabinettstück gegönnt, sich so gesehen auch ein Geburtstagsgeschenk für den namhaften Illustrator Hans Ticha geleistet, dessen 60. Geburtstag bevorstand. Dass das Buch auch zum Vermächtnisband Jandls mutierte (Ernst Jandl, einer der bedeutendsten Vertreter deutschsprachiger experimenteller Lyrik, starb am 9. Juni 2000 !), konnte keiner ahnen, macht das Buch aber um so kostbarer.
Tichas 66 durchweg mehrfarbige Original-Offsetlithografien im Band ergeben ein wunderbar ergänzendes Bilderspiel zu den Wortspielen Jandls! Dr. Johannes Pommeranz, Bibliotheksleiter am Germanischen Nationalmuseum Nürnberg: »Es scheint, dass Tichas strenge Formenwelt besonders gut mit Jandls Geradlinigkeit harmoniert, die Teil seines poetischen Konzeptes ist. Tichas Buchillustrationen sind Interpretationen. Sie zeugen von der persönlichen Auseinandersetzung des Zeichners mit dem Text, von seinem Bemühen, den Inhalt bildlich wiederzugeben. Dies aber nicht im Sinne einer Nacherzählung, sondern im Sinne einer Reaktion. Er zeigt in diesen Grafiken – Pop Art erinnernde, knallig leuchtende Farbflächen angedeuteter Körper… als bunte Versatzstücke, Signets, die mit Jandls isolierten Buchstaben korrespondieren.«
Oskar Schlemmer, Richard Lindner und der bekanntere Roy Lichtenstein dürfen als bildnerisches Anregerkollegium für Tichas Bilderwelten ergänzend genannt sein. Allerdings: Hans Ticha hat deren Kabinette längst durchschritten und steht mit seinem Œuvre von über 90 illustrierten Büchern als eigenständiger Bildfinder in der Bücherlandschaft Deutschlands an vorderster Stelle. Das Jandl/Ticha-Buch erhielt zur Jahrhundertwende den dritten Preis der Stiftung Buchkunst. Darüber freut sich heute noch ARTus !