„Ich möchte eben keine Frage ausgelassen haben“

„Ich möchte eben keine Frage ausgelassen haben“, erläutert Uwe Johnson. Es ist Anfang 1963, im Dachgeschoss einer Wohnung irgendwo im Westen Berlins, das zu dieser Zeit eine hektisch gespannte, politisch geteilte Stadt ist. Dort versucht er mit Fragen einzufangen, was für ihn selbst zu Unsicherheit und Verwirrung geworden ist. …

In langen, ausführlichen Gesprächen – zumeist sehr aufmerksamen, oft leidenschaftlichen, aber immer disziplinierten, ja verhaltenen Befragungen – versucht Johnson auf fast zweihundert Seiten, von seinen zwei Zeugen in großem Detail etwas von jener Wirklichkeit zu erfahren, die ihm selbst erspart geblieben ist: von deren Existenz im sogenannten „realen“ Sozialismus des DDR-Regimes und von den Schwierigkeiten, ein verantwortungsvolles Leben in diesen Bedingungen zu führen. Erst ein Prosatext von ihm, eine Erzählung, die sich die Freiheiten der Poesie erlaubt, ohne die Verpflichtung zu historischer Genauigkeit aufzugeben, gibt ihm dann die Gelegenheit, zu sich selbst zu kommen. Ein spätes Werk Johnsons wird uns auf diese Weise und in dieser Form geschenkt.

Es kann sein, dass der Titel dieses Buches „Eine Kneipe geht verloren“ zur Unterschätzung von Stoff wie Thema verführt, denn Berliner Kneipenpoesie ist Johnsons Prosa bei manchen Anklängen an die Milieukunst der Naturalisten eben doch nicht. Dialekt und Jargon treiben darin wie sonst auch bei Johnson keine Blüten, sondern sind höchsten da und dort verhaltene Signale, Farbtupfer für diejenigen, die ein Auge dafür haben. / Gerhard Schulz, FAZ

Uwe Johnson: „Ich wollte keine Frage ausgelassen haben“. Gespräche mit Fluchthelfern. Herausgegeben von Burkhard Veigel. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 245 S., geb., 22,80 €.

(Die Erzählung „Eine Kneipe geht verloren“, die zuerst 1965 erschien, wird im Buch mitabgedruckt)