Karikaturist K.
ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« Nr. 522
»Ein Mann, der seit Jahrzehnten auf den Zeichenstrich geht – jenen Strich, auf dem die nacktesten aller Wahrheiten gehandelt werden. Die Kenntlichkeit nämlich. Die Wesensart. Kontur, die dich schonungslos erzählt.«, so hat es zum runden Jubiläum von Harald Kretzschmar sein Laudator Hans-Dieter Schütt auf den Punkt gebracht. Von welcher »Kenntlichkeit« und »Wesensart« ist da die Rede?
Zwischen dem »erzählenden« zeichnerischen Porträt und der Karikatur, die Wesentliches auf eine Linienarabeske verkürzt, könnte man so gesehen schon Welten unterscheiden. Eine Grosz-Zeichnung, ein Kokoschka- oder ein Janssen-Kopf in seinem Offenbarungsgehalt zeigt mir schon mehr als eine »schonungslos« ausgeführte »Kontur«, ein wie auch immer genial hingehauener Strich, der nur einer äußerlichen Attitüde frönt und alles Mögliche zur Kenntnis bringt, in den seltensten Fällen aber die Persönlichkeit des Modells.
Unter der Vielzahl der Karikaturisten gibt es wenige, die sich um das Ausloten der originären Wesensart des zu Porträtierenden wirklich mühen und die, falls nötig, auch gegen das Raster der eigenen Handschrift anzustricheln wagen.
Kretzschmar ausschließlich in die Ecke des selbstverliebten Schnellzeichners stellen zu wollen, hieße allerdings den kritisch-umsichtigen Akteur verkennen, der heute mit Charakterstrichen festhält, was morgen in der Tageszeitung gedruckt vorliegt. Im »Eulenspiegel« war er eine feste Größe und bis heute publiziert er im »Neuen Deutschland«.
In meiner Bibliothek fand ich den im Henschelverlag Berlin 1962 herausgegebenen Band »Mimen und Mienen – Köpfe von Bühne und Film«. Auf 105 Seiten, munter kommentiert von Rudi Strahl, treffen sich dort zu einem Stelldichein in Wort und Bild Größen wie Sophia Loren und Marlene Dietrich, Helene Weigel, Gustav Gründgens, Charlie Chaplin, Heinz Rühmann.
2010 erhielt ich von einem lieben Bücherfreund die aus drei Bänden bestehende, nicht in den Buchhandel gelangte und als »unverkäuflich« bezeichnete, von einem Bundesministerium 1995 in Auftrag gegebene Anthologie »Von Abraham bis Zwerenz«. Sie versteht sich »als Beitrag zur geistig-kulturellen Einheit in Deutschland« und ist z.B. in Schulen zu finden. Und was entdecke ich? Neben Porträtzeichnungen des geschätzten Illustrators Klaus Ensikat auch über 50 in minimalistischer Kritzelmanier ausgeführte Autoren-Porträts von Harald Kretzschmar. »Ein grandioses Lebenswerk«, so formuliert es Schütt, das Köpfe unbekümmert vorstellt, aber nie bloßstellt.
Im Stralsunder Kulturhistorischen Museum konnte man im Frühjahr 2009 Kretzschmar-Arbeiten sehen. Zur Finissage am 8. Mai las der Künstler aus seinem 2008 bei Faber und Faber verlegten Buch »Paradies der Begegnungen«.
Den Termin habe ich damals leider verpasst. Ich habe das Buch erst dieser Tage erstanden und manches besser verstanden. ARTus