Körperlandschaften

ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« Nr. 531

Ich mag Erinnerungen an Landschaften und ganz besonders die von Künstlerkollegen, die Gesehenes im Vagen, in der Andeutung belassen. Ich kann mich dann, wenn auch nur gedanklich, als Mitbeteiligter einbringen, so gesehen völlig fremde Bildfindungen auf meine Art beenden, neu zusammensetzen.

Als ich im Juni 2011 zum ersten Mal den kleinen Atelierraum von Ulrike (Uli) Müller in der Altstadt von Sassnitz in Augenschein nahm, trafen mich solche »offenen« Bildangebote, die, ich erfuhr es später, ein wesentliches Kennzeichen ihrer Handschrift sind. Ich fühlte mich unerwartet angesprochen und aufgenommen in dieser Bilderwelt, die vom Körper als Landschaft spricht, in der man behutsam, immer wieder befragend auf nicht enden wollende Entdeckungsreisen gehen kann.

Wer offenen Auges durch die wenigen, noch nicht sanierten Gassen der nördlichsten Stadt Rügens geht, entdeckt mitunter eine Häuserzeile, deren gerade noch vorhandener Fassadenputz seltsam »ausblüht« und zu den merkwürdigsten Bildszenarien einlädt. Oder unsere Füße stehen plötzlich auf einer aufgebrochenen Straßenasphaltdecke, deren Krakelüren mit ein wenig Phantasie eine Ansammlung von Körperfragmenten zaubern, wie sie sich unsere Phantasie nicht sinniger hätte ausdenken können. Wer ist noch nie dem schnellen Wechselspiel von Wolkenformationen erlegen, hat darin eben noch Köpfe ausgemacht, aufgeworfene Münder, andeutungsweise Augen, Nasen, Zehen: bizarr verzauberte Leiber? Oder war es nur der Hauch einer fraglos interessanten Körperlinie? In Bruchteilen von Sekunden gesehen, aber leider nicht gebannt, beispielsweise mit der Kamera!? Immerhin eingebrannt in den Speicher unserer Erinnerungen, die sich plötzlich beim Betrachten der Bilder von Uli Müller einstellen könnten. Mir jedenfalls ging es so.

An diesen Arbeiten kann sich der unbefangene Gast am lustvollen Entdecken üben. Ihre Inhalte drängen sich nie vordergründig auf, aber sie können sich auf eine wunderbare Art und Weise – fast unmerklich – einstellen und bleiben dann fixiert. Das macht die Faszination von bildender Kunst aus.

Über sie kann man sich bei einer von der Künstlerin freundlich angebotenen Tasse Tee im Atelier (s)ein Bild machen.

ARTus.

Die Malerin Ulrike Müller hat ein offenes Atelier in der Sassnitzer Bachpromenade 3.