Kunst von Tàpies
ARTus-Kolumne »So gesehen« Nr. 560 (Tàpies)
Kolumne von Walter G. Goes (Bergen/ Rügen)
Mit dem Tod des in Barcelona gestorbenen Künstlers Antoni Tàpies geht eine Epoche zu Ende, bemerkte die FAZ nur zwei Tage nach dem Ableben des Künstlers. Er gehöre als Künstler in die Reihe von Beuys, Rauschenberg, Chillida, Twombly, in der Musik zu Luigi Nono, Karl-Heinz Stockhausen, György Ligeti und in der Literatur zu Jorge Semprun, mit dem er befreundet war.
Das Werk des 88 Jahre alt gewordenen Künstlers sei »ein Plädoyer für Demokratie, für Meinungsfreiheit, für Frieden«, so die Kunstpublizistin Barbara Catoir. Sie erinnerte an seinen anhaltenden Widerstand, der sich »damals explizit gegen das Franco-Regime richtete, gegen die Diktatur mit ihrer Freiheitsbeschränkung.«
Dass auf Rügen lebenden Bürgern und deren Gästen Werke Tàpies und einiger seiner Zeitgenossen (Beuys und Chillida) über Jahre unkompliziert in Prora zugänglich waren, gehört zu den heute bewunderten Möglichkeiten des Nachwendejahrzehnts. Der Versuch einer ständigen Etablierung hochkarätiger (nicht elitärer!) Kunst Ende der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts auf Rügen (gemeint sind Teile der Sammlung Vogel aus Hamburg) war ein mutiger, von vielen Hoffnungen begleiteter Versuch, der im Pokerspiel zwischen Kommerz und Kultur leider Schiffbruch erlitt. Trotzdem mögen Rückblicke erlaubt sein, insbesondere dann, wenn wichtige Namen im Fokus der Jetztzeit aufleuchten und die Vergangenheit wachrufen.
Ich erinnere mich an ein kleines Nebengelass auf der obersten Etage der Mega-Grafik-Sammlung DER WEITE BLICK, das bevorzugt Werke von Tàpies zu präsentieren vorgab. Tatsächlich konnten Interessierte die komplette Folge von Radierungen und Lithografien zu André du Bouchet »qir« begutachten, außerdem zwei Folgen von Lithographien, die aus Editionen der Pariser Galerie Maeght stammten. Was aber kaum ein Besucher ahnte, Carl Vogel hatte das Nebengelass auch zur Prüfstelle für nicht hinterfragende Kunstgläubige umfunktioniert, einige Ready-mades (zur Kunst erklärte Fundstücke) untergeschummelt, die zwar verdächtig nach Tàpies aussahen, nur eben nicht von der Hand des begnadeten Künstlers stammten. Carl Vogel hatte sie im Nachgang von Renovierungsarbeiten im Objekt aufgelesen. Es waren mit Farbresten versehene Pack- und Schmirgelpapiere, denen man eine kompetente Künstlerurheberschaft auf den ersten Blick durchaus abnahm und die Aura der Rahmung tat ja auch ihr übriges.
Wer auf diesen Coup herein fiel, den klärte das kunstsachverständige Schlitzohr Carl Vogel erst im Nachgang auf, dann aber gründlich und auf eine Art und Weise, die den Fallensteller so gesehen zum Weichensteller in Sachen Kunstvermittlung umpolte. Man lachte, scherzte und nahm keineswegs sonderlich übel. Wer sich dann immer noch mit der Moderne zu beschäftigen wünschte, der konnte in Vogels citrongelben Band Zeitgenössische Druckgrafik von 1982 nachblättern. Zu lesen war: »Antoni Tàpies gehört – das steht außerhalb jeden Zweifels – zu den bedeutendsten Künstlern seiner Generation.«
Da hatte schon vor 30 Jahren Carl Vogel das richtige Gespür. ARTus