Lexikon der Frau
Eine schöne Entdeckung habe ich ausgerechnet heute am Tag des 400. Geburtstages von Sibylla Schwarz gemacht.
Zur Vorgeschichte. Nach der postumen Veröffentlichung ihres Werkes 1650 und der Lobpreisung durch den gelehrten Daniel Georg Morhof 1682 folgte eine Phase, wo sie von Neumeister 1695, Paullini 1705 und vielen anderen Nachschlagewerken (ich nenne nur Jöcher 1725 und Zedler 1743) bis etwa 1800 vertreten war – nicht sehr substanziell, aber stets lobend. Und dann ist Schluß. Genau in dem Moment, als die Germanistik und Neuere deutsche Philologie als eigenständige Wissenschaft etabliert werden, fällt sie heraus aus dem Kanon. Es kommt noch ein Eintrag im „Allgemeine(n) deutsche(n) Conversations-Lexikon“ 1840, Gervinus nennt sie in der 1. Ausgabe seiner Literaturgeschichte, dann nicht mehr. Sie kommt noch im Grundriß von Goedeke 1859 und 1887 vor und ab da fast nur noch in lokalen Kontexten als pommersche Autorin oder eben als schreibende Frau. Das letzte allgemeine Lexikon, in dem sie verzeichnet ist, erscheint in Frankreich 1876. Von da ab Essig, kein Brockhaus und Meyer, auch kein 10- oder 20bändiges Lexikon hat Platz für die jungverstorbene Dichterin, kein einziges im ganzen 20. Jahrhundert und bis heute. Auch in dicken Geschichten der deutschen Literatur kommt sie nur selten vor, so bei Josef Nadler 1923, Boeckh 1962 und de Boor / Newald 1965. Die vielbändigen Schriftstellerlexika Killy und Kindler haben sie, sonst niemand – wenn sie mal im Kanon der „gelehrten Frauen“ war, ist sie in der Neuzeit zwischen 1820 und 2000 herausgefallen.
Jetzt die Entdeckung. Vor ein paar Tagen suchte ich im Internet nach Sibylla Schwarz und fand ein „Lexikon der Frau“ 1954. Ich bestellte es auf gut Glück bei einem süddeutschen Antiquar, und heute kam ein dickes und schweres Paket mit zwei solide eingebundenen Lexikonbänden. Es ist kein Lexikon berühmter Frauen, sondern eins für Frauen, so etwas wie special interest. Der Gatte mochte es zum 30. oder 40. Geburtstag geschenkt haben. Und siehe da, auf Seite 1218, zwischen Schwangerschaftsverhütung und Schwarzalben, stehen drei Frauen mit dem Namen Schwarz: 1. Friederike, deutsch-tschechische Komponistin, * Prag 1910; 2. Margot, Schweizer Schriftstellerin, * Lenzburg Kr. Aargau 1907, und schließlich
3) Sibylla, dtsch. Dichterin, * Greifswald 14.2.1621,† ebda 31.7.1638. Tochter aus altem, vornehmem Hause. Dichtete vom 10. Lebensjahr an, von Martin Opitz beeinflusst, u. wurde zu ihrer Zeit als die «Pommersche Sappho» gefeiert.
Na bitte. Das einzige Lexikon aus dem ganzen 20. Jahrhundert (okay, ich konnte nicht jedes einzelne überprüfen, aber sehr viele) mit einem Eintrag für Sibylla Schwarz ist ein Lexikon für Frauen.
Die Lebensdaten sind dieselben wie in jedem älteren Nachschlagewerk, stillschweigend und des Problems unbewusst aus der einzigen Quelle übernommen, nämlich der Greifswalder Leichenpredigt von 1638 nach dem damals dort noch gültigen julianischen Kalender, der im 17. Jahrhundert 10 Tage vom gregorianischen abwich. Aber immerhin ist der Vorname „korrekt“, Sibylla und nicht Sibylle oder Sybilla wie sonst meist.
Ein solides Nachschlagewerk und ein schönes Stück Rezeptionsgeschichte.