Marat war das Auge des Volkes
ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« Nr. 623 • 18. Mai 2013
von Walter G. Goes (Bergen/Rügen)
Von Joachim John, dem unerbittlichen Zeichner und Radierer, der den Stift und die Radiernadel bis heute wie ein Skalpell benutzt, der in seinen Arbeiten mit seltener Radikalität zum Wesentlichen vergangener und gegenwärtiger Geschichte vorzudringen versteht, gibt es eine Radierung, welche auf die Ermordung des Jean Paul Marat (am 23. Juli 1793) verweist. Die Grafik entstand in den ersten Monaten des Jahres 1989, mit Blick auf einen der großen Köpfe der Französischen Revolution, deren Jubiläum anstand und nach 200 Jahren berechtigt zu feiern war. Ich sah die große Arbeit bei ihm privat, im Frühjahr 1989 in seinem Atelierhaus, in Frauenmark bei Schwerin und konnte sie für wenig Geld erwerben.
Die Szenerie war dem berühmten Jacques-Louis-David-Bild entlehnt, das der Maler David (1748-1825), ein enger Freund Marats, unmittelbar nach der Ermordung Marats, auf die Leinwand gemalt hatte.
Das Bild hängt heute in Belgien, in den Musées Royaux des Beaux-Arts. Ich hätte es wohl nie besichtigen können, hätte es im Herbst 1989 nicht das Aufbegehren so vieler DDR-Bürger gegeben. Ihr Mut führte zur Implosion der DDR und damit zur Aufhebung von Grenzen.
Es war, ich täusche mich wohl nicht, der nie versiegende Kampf um generelle Menschenrechte, den Marat als »Rächer der Gesetze«, vehement einklagte und der von Künstlern wie John zweihundert Jahre später aufgenommen und beispielhaft künstlerisch umgesetzt wurde. Ihre Hinweise auf Protagonisten früherer Revolutionen machten so gesehen Mut zur Rebellion im eigenen Land und führten letztlich zu einer »friedlichen Revolution«, die noch Marat so nie für möglich gehalten hatte.
Was bis heute anregend beispielhaft bleibt, das ist Marats berühmte Zeitschrift Ami du Peuple. Sie erschien erstmals im September 1789 und wurde zum Sprachblatt bislang Entmündigter, in der Tat zum Freund des Volkes. Sie deckte mit der Macht der Worte verdeckte Machenschaften Regierender auf und verstand sich als »Alarmglocke« drohenden Unheils. ARTus