Nebel der Erinnerungen lichten
ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« 599 • 1. Dezember 2012
von Walter G. Goes (Bergen/Rügen)
Ein »Erwinist« bin ich nicht. Nie gewesen. Judka Strittmatter nennt so die hartgesottenen Jünger ihres Opas Erwin Strittmatter(1912 – 1994), dessen Namen sie trägt und der an ihr klebt wie Pech an der Marie und letztlich doch ein Quentchen oder mehr Glück abwirft für die Enkelin aus der ersten Ehe des Schriftstellers.
Nun wartet sie mit ihrem Roman-Erstling auf, einem Roman, der eigene Erinnerungen literarisch aufarbeitet, der die Nebel der Erinnerungen zu lichten versucht. Auf dass sich die potentielle Leserschaft ein Bild mache. Auch jene, die zwar mit Tinko und Pony Pedro ihres Opas aufgewachsen ist, aber herzlich wenig am Hut hatte mit dem umjubelten Wunder-Täter Erwin und schon gar nicht mit dem Geheimen Informator (GI) »Dollgow«, der über Berufskollegen von 1959 bis 1961 unselige Berichte ablieferte, die nun wirklich nichts mit den Weihen großer Literatur zu tun hatten.
Und doch bleibt da die Neugier auf Strittmatters unbelastete, nun aber auch »schreibende« Enkelin. Steht sie literarisch in seinem Schatten? Wird sie, die diese Fragestellung in einem Magazin-Bericht der Berliner Zeitung vom Sommer 2012 selbst konterkarierte, »dem Literaturdenkmal (Erwin) ans Bein pinkeln?« Übrigens, welch aberwitzige Vorstellung…
Judka Strittmatter nennt ihr gerade erschienenes Buch: Die Schwestern und wer es genau liest vermutet wohl richtig, dass Judka sich in der Figur Marthas spiegelt, in allen Tiefen und Höhen, sich mehr aber noch den Mühlen der Ebenen ausgesetzt sieht, den immer wieder einfallenden Demütigungen, denen Martha, sprich Judka, ausgesetzt wird.
Wie souverän und offenherzig Judka Strittmatter diesen Romanstoff, so gesehen den ihres Lebens, vorträgt, ist beeindruckend. Das Lesezimmer im Rosencafé Putbus erlebte eine rundum gelungene Premiere.
Sie fühle sich übrigens hier von frühen Erinnerungen eingeholt, nächtigte sogar für einige Zeit um 1986/87 in einem arg kleinen, bescheidenen Zimmer des Cafés und sah, gleich nebenan, im damals noch existierenden Kino, den Film Amadeus von M. Forman.
In diesem Film ging es übrigens auch um Erinnerungen. Erinnerungen, die plötzlich Gestalt annehmen und an denen man sich ein Leben lang abarbeitet. ARTus