Peter Wawerzinek zu Walter G. Goes

Rede von Peter Wawerzinek

Zur Eröffnung der Ausstellung »Objekte im KUBUS« von W. G. Goes am 21. Mai 2010 in der Galerie »mehrsehen« am Kap Arkona auf der Insel Rügen

Wawerzinek über Goes:

Ich mag an Goes, dass er ein Gaukler ist und ein Sammler. Vielleicht ist ihm das etwas in die Wiege gelegt worden? Oder es war einfach der große Zufall, den es niemals gibt, der dafür gesorgt hat, dass wir Goes als einen Künstler erleben dürfen. Die Kunst, die er schafft, wird vor allem Notiz bleiben. Hier war ich, das habe ich mir angeeignet und mir daraus einen Sinn gefertigt.

Ausstellungseröffnung im KUBUS. Walter G. Goes, Peter Wawerzinek, Ellen Kock

Hier die Rede im Wortlaut:

Was immer einer/eine für Kunst macht, es ist stets Berichterstatten, ist aber auch im Besonderen wie… Lyrik denken. Kunst tätigen, in Kunst tun, sich… Ausquetschen, Ausdrücken, Ausstellen, Ausweisen… ist wie nichts weiter als Bekanntgabe von Sinnen und Suchen. Hier ist wer und diese eine menschliche Person bringt einen Gutteil seiner Lebensführung auf, sich mit Dingen zu beschäftigen, die es nicht zum Leben  braucht, wie Wasser, Brot, Liebe und Kinder. Man nennt das dann Schaffenszeit und weiß dann vor allem, dass Zeit aufgewendet, vergeudet wird, einfach um Bericht zu erstatten. Bericht darüber, dass man auf dieser Welt ist und dem Gesetz der Evolution nur bedingt hörig ist, und wie nebenher klammheimlich oder offiziell der Kunst dient. Denn Kunst ist im Zustand der Welt nicht vorgesehen. Kunst haben sich die Menschen erarbeitet, indem sie das Handwerk erweitert haben. Aus der Tierbeobachtung ist der zuckende Tanz geworden. Aus dem Heulen des Windes wurde der Sprechgesang. Wo Blitze walteten, wurden diese zu bannen gesucht. Ja, Kunst ist auch ein Blitzableiter. Und wer ernsthaft zu arbeiten versteht, darf sich Künstler nennen. Denn aus dem Stück Fleisch, in die Glut gefallen, wurde letztendlich Picassos Kosmos und jeder andere Künstler hat sich erst einmal vom Urmenschen zum Künstler entwickelt. Die gleichen Stationen durchgemacht, ehe er sagen konnte: Seht her – das bin ich. Im Allgemeinen bleibt der Künstler unter sich. Sprich: einsam. Kunst schafft Notzustände. Kunst will den unsicheren Mann. Kunst will die zögerliche Frau, die aufhört verunsichert zu sein und zu zögern und sich selbst erfindet. Das große Dilemma der Kunst bleiben die Künstler. Das vorliegende Los, das Künstlern beschieden ist, bleibt die Einsamkeit. Und wenig Mut ist ihnen vergönnt, sage ich mal. Der Künstler tritt an, zuerst einmal sich und seinen Bezug zur Welt im besten Sinne aufzubessern. Will sagen und sage es konkret: Durch den plötzlichen Erfolg wird der Erfolgreiche natürlich auch gelähmt, wie durch tödliches Gift.

Man begreift nur einmal in seinem Leben, dass man infiziert ist, Gedanken einen beherrschen, die es nicht braucht. Dass man munter dabei ist, Kunst zu schaffen und – man weiß dann auch, man wird beim Schaffen… Erstarren. Also sollen wir schaffen und nicht nach dem Ruhm streben. Also sollen wir was zu beißen haben und… überleben. Denn all zu viele werden all zu flink wohnhaft in ihren raschen Erfolgen, werden Untermieter ihrer eigenen Schöpferkraft, zahlen sich im Leben zu früh aus und behindern sich, in dem sie nicht weiter… fortschreiten. Besser gesagt: Die Künstler, die sich auf die Ebene stellen, Pokal werden möchten, vergolden sich ihr Unvermögen, löhnen sich den weltlichen Lähmzustand selber aus, in dem sie das, was sie tun, für etwas Besonderes halten. Bei Goes, um ihn beim Namen zu nennen, ist das nicht viel anders, aber um das nicht viel Anderssein geht es in jeder Kunst. Der eine malt, der andere schleppt Steine und baut einen Turm daraus, der nächste zerkaut Stein und raspelt daraus eine Ode.

Das alles geht zu machen und das alles kann sich sehen lassen. Man macht es sich schön. Man will sich gut sein. Man kerkert sich ein und umgibt sich mit Kunststücken. Wie in einem Gefängnis richten sich die Künstler ein, mit ihren Werken wie in einer engen Zelle. Man kann nicht anders als man muss. Man ist nicht größer als seine eigene Schaffenskraft.

All die Kunst, all unsere Werke, nichts anderes als Hofrundgänge sind sie. Begrenzt ist unsere Zeit und ehe wir mitbekommen haben, wer wir sind, sind wir nicht mehr. Aber vielleicht noch das, was wir erschaffen haben, eventuell hat das eine Chance, uns zu erweitern, auszubrechen und von uns zu zeugen: Gute, große Gedanken, hohe Ziele.

Die Realität sieht anders aus, Was wir an Kunst schaffen können ist nicht wirklich gut, nicht wirklich politisch. Wer Kunst schafft, gilt nicht als verfolgt oder gar als unanständig.

Ständig am Suchen sein… bewirkt Finden. Finden liegt nirgendwo im Trend. Suchen ist das, was den Menschen zum Künstler wandelt und Finden heißt, das,  was den Künstler bestimmt, nämlich allen guten Eigenschaften dienen. Also sollen die Künstler aufrichtig sein, kämpferisch, wortgewandt und ihr Leben lang bereit. Man greift mit den Augen zu. Man sieht mit den Ohren. Man hält nicht fest, was man mit seinen Händen fasst. Man ist nicht Künstler der Ausstellung wegen, der vielfältigen Formen wegen von Veröffentlichung, wie wir alle wissen.

Nein. Wir sind auf Erden um zu werden. Wir müssen Kunst wuchten des Willens willen. Oder besser ausgedrückt: Dem bewussten Künstler ist seine Kunst als aushelfender Umstand gar nicht peinlich.

Ich würde am liebsten nur reden und schreiben. Um Texte zu erstellen und sofort zu vernichten. Wenn ich davon leben könnte, wäre ich in einem der Schaffende und mein eigener Entwerter: Papierwolf.

Goes, um seine Haupteigenschaft zu benennen, findet Materialien um sie zusammen zu setzen. Wie andere Menschen halt nur reisen, um Fotos zu schießen, muss der ständig etwas zusammenfügen und Dinge komponieren,

die dann auch mal in einem Zimmerchen anzusehen sind. Das nennt man dann Ausstellung. Könnten wir das Leben eines Künstlers nachleben, unser Leben dafür verwenden, der Künstler selbst zu sein, wir wüssten wie wenig Kraft es einem abverlangt, der Künstler zu sein, der man nicht ist, weil man nicht wie er zu leben gezwungen ist, sein Leben lebt und damit genug zu tun hat.

Also können wir nicht den Kosmos eines Künstlers empfinden, sondern müsse ihn mit Respekt wahrnehmen: Picasso sein, Goes heißen und meinetwegen nur ein einfacher Mensch bleiben – alles zusammen werden, o ja, das wäre wundervoll. Der Künstler ist zuerst also ein Bewahrer von Kunstwerken, die er zufällig selbst geschaffen hat.

Man kommt mit Goes seinen Werken in Berührung. Berührung bleibt die Randkomponente. WIR streifen immer nur schwach, kratzen am Rande herum, wenn wir einen Künstler für sich nehmen. Bei Goes ist das nicht anders. Man kann immer nur einen Spalt seiner Kunst erblicken. Und in den allereinsamsten Stunden aufersteht dann eine Art Seelenverwandtschaft.

Das ist bei Goes und mir nicht anders als mit Goes und Schubert oder Chaplin. Der eine macht etwas, der andere nimmt es an oder nimmt es auf – und schon fühlt man sich zwischen dem Lehrer und die Klasse gestellt. Will sagen: Ich bin immer auch ein wenig ein anderer, wenn ich mich einem anderen Künstler zuwende. In diesem Sinne steht man dann neben sich als ein anderer, der Mensch, der man sein könnte, wird wahr. Für den Moment der Ausstellung und auch nur so lange wie wir Berührung mit der Kunst von anderen haben. Draußen vor der Tür ist das ausgestanden und man kehrt scheinbar wieder zu sich selbst zurück. Ein Irrtum, wie wir wissen. Künstler sind Irrlichter. Oder besser gedichtet und dem Künstler Goes wie allen armen Kunstmachenden ins Herzbuch geschrieben:

Ich sah einen dunklen Raum. Kunststücke kreisten Erdtrabant gleich: Bilder, Plastiken, Opern, Worte, Melodien – alle Künstler sind Kosmonauten, die sich bei den Händen halten müssen, wollen sie nicht auf ewig verschwinden. Oder noch eindeutiger gesprochen: Eine Passage zur Nachtigall zum Beispiel, die, eingesperrt, aufgehört hat zu flöten, ist jedes Gedicht wert. Ein Kunstwerk von der Pike an errichtet und unter die Leute gebracht, erklärt Krieg, Gefangenschaft, Unterjochung, Sklavenhandel. Ja. Ich rede davon, wie wichtig der Mund für das Anfassen ist, wie nötig der Verstand um sinnlich zu sein, wie sehr auf den Bauch zu hören ist um zu fühlen.

Ich mag an Goes, dass er ein Gaukler ist und ein Sammler. Vielleicht ist ihm das etwas in die Wiege gelegt worden? Oder es war einfach der große Zufall, den es niemals gibt, der dafür gesorgt hat, dass wir Goes als einen Künstler erleben dürfen. Die Kunst, die er schafft, wird vor allem Notiz bleiben. Hier war ich, das habe ich mir angeeignet und mir daraus einen Sinn gefertigt.

Aus den Dingen dieser Erde etwas bauen, was man ruhig herzeigen kann – das ist nun einmal die ganze Kunst. Etwas notieren, dann einem Rausch folgen, sich an dem eigenen Tun erschöpfen, Kunststücke wie Fetzen eines Gespräches schaffen ohne an Veröffentlichung zu denken,- das macht den Künstler aus.

Goes zeigt bei allen Warnungen uns Menschen, dass ihm die Heimat und die Blumen nicht einerlei sind. Wenn er also Dinge zu halten sucht, so kann es nichts anderes geben als Momente zu erinnern: Frauen zum Beispiel, die einfach auf der Wiese sitzen, still vor sich her blicken, verträumt in die Flammen schauen zur frühen Morgenstunde. Und dann kommt einer daher und also auf die wunderbare Idee, der Frau einen Braten zu schenken. Und er stellt den Braten vor sie hin, und sie kann dann von dem kalten, halb rohen Wildschwein am Spieß kosten. Und er wird ihr ein paar Scheiben extra abschneiden und sie für sie rösten. Das passiert überall auf der Welt wo Ausstellungen eröffnet werden.

Es ist immer und überall dasselbe: Er schleppte die Steine, er warf sie neben die Glut, er fand ein Rost und bastelte innerhalb von einer Viertelstunde einen Grill daraus. Und von seinem Fleisch kann noch der Hund leben.

Um das Bild des Stapellaufs zu bemühen: die Sammlung ist zu Wasser gelassen. Die Reise geht in die kleine Bucht oder hinaus aufs weite Meer.

Nun wird sich herausstellen, ob man als Künstler auch als Bootsmann taugt, genug gefeit. Für den Moment ist das Schiff mit Namen Goes also in diesem kleinen Becken eingelaufen, das Boot ist für eine gewisse Dauer gut und sicher vertäut. Der Künstler selbst bleibt an Land zurück, und lebt nun recht wie gut oder schlecht damit, dass nebenan die großen Pötte liegen und die neugierige Meute stets zu den großen Luxuslinern strömt, unter deren Deck die mächtigen Motoren dröhnen, Gold und Glanz, Lack und Trug, das so wohlige Schauder übertragen hilft.

Und doch gilt die alte Weisheit weiter: Lass sie alle vorbeiziehen, vertraue deinem Werk.