Pia und Hannah

ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« Nr. 532

Im zeitigen Frühjahr meldete sich der Holzgestalter Axel Kasiske aus Sehlen auf Rügen bei mir und fragte an, ob ich mir eine Art Förderkurs in Sachen Kunst für eine Einzelschülerin vorstellen könne, für die er als Mentor tätig sei. Er wolle ihre guten Ansätze im Zeichnen weiter ausbauen helfen. Als Honorar bot er mir ein Buch an, das den Gegenwert eines womöglich unschlagbar guten Stundensatzes ausmache. Dann legte er mir das Buch auf den Tisch, das sofort jeden noch so kleinen Ansatz eines etwaigen Widerspruchs binnen Sekunden aufhob.

Vor mir lag der Achte Druck der Sisyphos-Presse. Ein lange gesuchtes, allerdings für mich bislang unerschwingliches Buch über die legendäre DADAistin Hannah Höch (»die sanfte H.H. aus Gotha«). Es erschien in den 90er Jahren, herausgegeben von Elmar Faber und Hans Marquardt »in einer einmaligen Auflage von einhundertundfünfundsiebzig Exemlaren(!)« und… dem Exemplar beigelegt war ein signiertes Originalaquarell von Hannah Höch(!!).

Mir verschlug es die Sprache. Ich besaß ja schon zwei kleine Aquarelle, so genannte Minis der H.H. sowie ein kleines Originalfoto, das sie noch vor ihrer DADA-Zeit zeigt, und nun noch in Aussicht gestellt ein Aquarell der verehrten Künstlerin! Natürlich sagte ich JA und jubelte innerlich, freute mich auf die anstehende Lektüre und die junge Praktikantin Pia. War sie nicht etwa auch so alt wie Hannah Höch auf dem mir gehörenden Foto?

Das nachfolgende Vierteljahr hat die im Frühjahr 2011 noch 17-jährige Pia, die einen dreijährigen Kurs »Produktives Lernen« an der Regionalen Schule »Am Burgwall« Garz auf Rügen gerade abzuschließen gedachte, fleißig genutzt. Wir haben Porträts gezeichnet und Stilleben, in der Umgebung Bergens Bäume studiert. Wir waren am Dwasiedener Hochufer in der Nähe von Sassnitz, um und dort einen wunderbaren Sommertag lang zu aquarellieren. Im Bergener Atelier wurde als Lockerungsübung mit Tusche experimentiert. Die Ergebnisse waren mehr als erfreulich. Ein abschließendes Kunstkursbelegheft mit vielen Abbildungen wird Pia immer mal wieder anschauen können.

Vielleicht hat Pia Feuer gefangen und wird sich in Flensburg weiteren künstlerischen Studien widmen. Vielleicht erinnert sie sich ja auch an die junge Hannah, von der ich ihr erzählt habe, die sich erst mit 23 Jahren der Kunst verschrieb und heute zu den Sternen der Kunstgeschichte zählt.

Pia, gerade 18 geworden, hat so gesehen fünf Jahre künstlerischen Vorsprung. Ob sie ihn nutzt? Es liegt in ihrer Hand und am kleinen Quäntchen Glück, das ich ihr auf ihrem Wege wünsche. ARTus

Pia Ciborovius hat ihren Kurs »Produktives Lernen« erfolgreich absolviert und beginnt nun ihre Ausbildung in Flensburg. Zeichnung: ARTus