Rede vom Gedicht

Der Dichter und Zeichner Christoph Meckel wurde am vergangenen Sonnabend 75.

Auf dem Jagdschloss Granitz, in der gerade bis in den August hinein verlängerten Ausstellung „JUBELJAHRE-JUBILARE“ der KulturStiftung Rügen, kann man eine kleine Radierung aus dem Jahr 1989 entdecken. Ein poetisches Blatt zu einem poetischen Text („Jemel“), das mich, als ich es sah, an Figurationen des großen Marc Chagall denken ließ. In ihnen wirbelt auch alles in schönster Unordnung durcheinander, scheinbar spielerisch. Bei Meckel allerdings ist der Grundton einer, der auch das Verweilen in den Schattenfeldern der Betroffenheit kennt und unbarmherzig ausmisst. Ganz besonders trifft das für seine Gedichte zu, mit denen sich der neu beschäftigen kann, der das jüngste Heft (Nr.288) der Reihe „Poesiealbum“ erwirbt (das Einzelheft kostet erträgliche vier Euro, plus Porto und ist per Post unter Märkischer Verlag, An der Aue 6, 14552 Wilhelmshorst zu ordern). Das in der alten Aufmachung seiner Vorgängerhefte kongenial gestaltete, aber wesentlich besser gedruckte und mit der Abbildung einer Radierung Meckels von 1997 versehene Heft ist, welch aufmerksame Geste des Verlags und seines neuen Herausgebers Richard Pietraß (der nach dem Begründer der Reihe Bernd Jentzsch vom Verlag ins Boot geholt wurde), ein wunderschönes Geburtstagsgeschenk an den Jubilar Meckel. Pietraß, auf Rügen durch seine Lesungen eigener Lyrik wahrlich kein Unbekannter, hat sorgsam ausgesucht, von der frühen „Tarnkappe“ 1956 bis zum Band ausgewählter Gedichte „Ungefähr ohne Tod im Schatten der Bäume“, bei Hanser in München 2003 erschienen. Meckels „Rede vom Gedicht“, seine Erschließung als poetischer Text, beschäftigt mittlerweile Abiturienten im Prüfungsfach Deutsch. Wer sich das nur ausgedacht hat? Gedichte sollten einen wie unerwartete Geschenke oder schicksalhafte Umstände zufallen, so gesehen in Herz und Hirn für Aufruhr sorgen. Sie sollten Unruhe stiften, aber nie eingepaukt werden müssen. Es könnte ja sonst passieren, dass Zeilen wie die folgenden schweißnass zusammengefaltet und für immer unter den Tisch fallen: „Das Gedicht ist nicht der Ort, wo die Schönheit gepflegt wird. // Hier ist die Rede vom Salz, das brennt in den Wunden. / Hier ist die Rede vom Tod, von vergifteten Sprachen. / Von Vaterländern, die eisernen Schuhen gleichen. / Das Gedicht ist nicht der Ort, wo die Wahrheit verziert wird. // Hier ist die Rede vom Blut, das fließt aus den Wunden. / Vom Elend, vom Elend, vom Elend des Traums. / Von Verwüstung und Auswurf, von klapprigen Utopien. / Das Gedicht ist nicht der Ort, wo der Schmerz verheilt wird… // Das Gedicht ist nicht der Ort, wo das Sterben begütigt / wo der Hunger gestillt, wo die Hoffnung verklärt wird. // Das Gedicht ist der Ort der zu Tode verwundeten Wahrheit…“ Von der zu lesen und zu verstehen, sollte uns mit Dank erfüllen.

ARTus.

(Aus der Serie „So gesehen“, Ostsee-Zeitung Rügen, von Walter G. Goes)