Revolution 9

ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« Nr. 495

Wo immer seit 40 Jahren Krieg ausbricht, wird es auch Menschen geben, die gegen die Steinzeitgene der tumben Macht mit Lennon-Worten und Lennon-Liedern ankämpfen. John Lennon hat phantasievoll Widerstand gegen die Krake Krieg geübt und dies nicht nur mit dem Satz: »Give Peace a Chance«. Dieser aber hat sich weltweit in die Herzen der Menschen eingebürgert. Er wurde zur Friedenshymne. Wer hat die Zeile nicht schon selbst auf den Lippen gehabt, fühlte sich mit ihr und im Kreis von Mitstreitern ermutigt.

War Lennon ein Friedensengel? Nicht nur. Aber immer dann, wenn die Welt in Flammen stand, wurde seine Musik zu einer (un)erhörten Integrationskraft der Friedensbewegten. Sein Ziel? Ein Beispiel geben für eine Welt anderer Möglichkeiten. Er schuf Songs wie »Imagine« oder »God«, die unter die Haut gingen. Sie trafen meine Generation elementar, elektrisierten und mobilisierten.

Ich mochte die Beatles, bin so gesehen über die Medien mit ihnen aufgewachsen, über alle Grenzen hinweg.

Lennons Part innerhalb der Gruppe war ungemein belebend. Über immer neue Experimente bot er immer neue Spielräume. »Revolution 9« war der diesbezügliche Höhepunkt im legendären »White Album« von 1968. John und Yoko Ono zauberten mit diesem avantgardistischen 8-Minuten-Stück eine wundersame Klangcollage aus vorgefundenen, spielerisch verbundenen Tonfragmenten. Die Collage war, wie immer man darüber denken mag, auf musikalische Art »revolutionär«. Sie wurde zum Impulsgeber der jungen Musikgeschichte und hat die Musik der Moderne (musique concrète) mit tradierten Formen witzig und voller Einfälle verschmolzen.

Lennon und Ono bedienten sich neuartiger technischer Möglichkeiten, woben Wirklichkeitsfragmente (Naturgeräusche!) und entlegene Musikausschnitte in Revolution 9 verfremdend ein.

So ist die männliche Stimme eines Toningenieurs als sich wiederholende Konstante in Revolution 9 zu hören, das Lachen einer weiblichen Person, zersplitterndes Glas (wie es Jahre später Kate Bush in »Aerial« nutzte!), Applaus, Baby-Geplapper, das Rascheln von Papier, Kriegsgeräusche, eine zuschlagende Autotür und vieles andere mehr. Die Fülle der Soundeffekte war frappierend, unvermittelt sah man sich beim Zuhören Bildern gegenüber, die Vergangenheit und Gegenwart demaskierten und Nachdenken anregten.

Ich kann Revolution 9 bis heute nicht ohne inneres Aufgewühltsein hören. Das hat mit meiner Jugend zu tun, dem blutigen Ende des Prager Frühlings, der Zerschlagung der 68er-Studentenrevolten, dem grausamen Vietnam-Krieg; Dingen, denen Lennon den Spiegel vorhielt.

Zu gern wüsste man um die Antworten eines heute 70jährigen Musikers auf den Krieg in Afghanistan, hätten ihn 1980 nicht vier Revolverkugeln so sinnlos getötet. ARTus

Vor 30 Jahren am - am 8. Dezember 1980 - wurde John Lennon in New York ermordet. Zeichnung: ARTus