Stötzer in Vilmnitz

ARTus-Kolumne „SO GESEHEN“ Nr. 476*

Der Bildhauer Werner Stötzer (* 2. April 1931) starb am 22. Juli 2010.

Die Nachricht vom Tod Werner Stötzers, lange befürchtet, traf mich dann doch hart. Für einen Moment war mein Denken und Fühlen ausgesetzt. Tobte der Wind noch? Zogen die Wolken weiter? Und wieso hörte ich die schrillen Töne der kleinen, aufgeregten Meute von Mauerseglern nicht mehr, denen ich doch sonst nie lange genug zuhören konnte? Etwas war plötzlich anders…

Meine Erinnerung an den Bildhauer Werner Stötzer speist sich aus wenigen Begegnungen, die aber sind unvergessen und haben auf besondere Art und Weise mein Leben bereichert.

Im Gedächtnis bleiben die Ausrichtung einer Ausstellung in der Orangerie Putbus im Mai 1982 und ein kollegiales Matinee-Gespräch in der Metzkes-Ausstellung im September 1982. Unvergesslich auch die Treffen in Vilmnitz, wo er bis in die 80er Jahre hinein sein Atelierhaus hatte, nur wenige Schritte neben der Pfarrkirche und dem kleinen, sich unter Kastanien duckenden, sogenannten »Armenhaus«. Dort hatte sein Bildhauerfreund Hans Henning sein Urlaubsdomizil. Hier, vor genau 40 Jahren, arbeitete sein Bildhauerkollege Wieland Förster am Tunesientagebuch und fand sich plötzlich aufgehoben in der Bildwelt und Grundstimmung Caspar David Friedrichs. In Vilmnitz sah ich Werner Stötzer mit Hammer und Meißel umgehen: behutsam, abwägend, bisweilen unerbittlich, Stunde um Stunde. Ein Arbeiter, der mitten in der Arbeit, scheinbar beseelt von einem Einfall, dem Stein Leben abtrotzen konnte, der in entwaffnenden Improvisationen zu oft spektakulärer Form fand. In seinen Figuren, auch in den Akten, kann man die Schönheit herber Landschaften feiern. Man kann sich in sie versenken, Form und Sinn weiterdenken. Über seine „Auschwitzgruppen“ und „Babi Jar“-Reliefs haben wir lange diskutiert. Ohne dieses Reden hätte ein Text wie der vom Februar 1980 nicht geschrieben werden können:

Bildhauer Stötzer erzählt

Worte aus der Luftröhre
Zwischen zwei Zügen an der kalten Zigarre
Die Wahrheit ist schmutzig und stinkt nicht
Juwelen liegen im Erbrochenen
Zwischen Vilmnitz und Auschwitz.

Auch hätte meine »Stutthof«-Mappe von 1987 anders ausgesehen, wäre ich Werner Stötzer nie begegnet. Ich kenne einen »Vilmnitzer Torso« aus Marmor, der von den nahen Hügelgräbern Rügens inspiriert scheint, der aber auch ein elementares Gleichnis von Verletzungen der menschlichen Natur darstellt.

So gesehen war es immer die »Spannung zwischen Trauer  und Glücksempfinden, zwischen Katastrophe und Idylle, gemüthafter Versonnenheit und sinnlicher Ausstrahlung« (Fritz Jacobi), aus der Werner Stötzer seine künstlerischen Intentionen bezog.

Im Dezember 2004 sahen wir uns auf dem Friedhof von Vilmnitz. Wir sprachen vom Tod und gaben uns, wie mir erst jetzt bewusst wird, ein letztes mal die Hand.

/ ARTus (Walter G. Goes)


*) erscheint am Sonnabend in der Ostsee-Zeitung Rügen