Superstar Liszt
ARTus-Kolumne »So gesehen« Nr.542
Der dänische Dichter Hans Christian Andersen (1805-1875) erlebte im Oktober 1840 fünfunddreißigjährig und so gesehen als Zeitzeuge während einer Deutschlandreise den Klaviervirtuosen Franz Liszt im Hamburger Hotel »Stadt London«.
In seinem Buch »Eines Dichters Basar«, erschienen 1843 in Leipzig bei Eduard Kummer, lässt sich im Kapitel »Liszt« nachlesen, was wir heute womöglich als Auftritt eines Superstars etikettieren würden:
»Solide Hamburger Kaufleute standen aufeinander gemauert, als sei eine wichtige Börsensache zu verhandeln; ein Lächeln saß auf ihren Lippen als hätten sie schon Papiere gekauft und unglaublich gewonnen. Der mythologische Orpheus konnte durch sein Spiel Steine und Bäume in Bewegung setzen, der neue Orpheus-Liszt hat sie schon vor seinem Spiel elektrisiert; das Gerücht hatte durch seinen mächtigen Nimbus dem Volke Augen und Ohren geöffnet, dass es schien als erkenne und fühle es schon was folgen werde! Ich selbst fühlte in den Strahlen dieser vielen flammenden Augen jenes erwartungsvolle Herzklopfen, die Annäherung eines großen Genius, welcher mit kühnem Finger die Grenze seiner Kunst in unserm Zeitalter bezeichnet… Gleich einem elektrischen Schlage durchzuckte es den Saal als Liszt hereintrat. Die meisten Damen erhoben sich, es war als verbreite sich ein Sonnenglanz über jedes Gesicht, als empfingen alle Augen einen theuern, geliebten Freund! – ich stand dem Künstler ganz nahe. Er ist ein magerer, junger Mann, langes dunkles Haar umgibt das bleiche Gesicht; er grüßte und setzte sich an`s Clavier…
Alles in seinem Äußeren und in seiner Beweglichkeit bezeichnet ihn sogleich als eine jener Persönlichkeiten, die allein durch ihre Eigenart schon Aufmerksamkeit wecken; die Hand des Göttlichen hat ihnen einen besonderen Stempel aufgedrückt, der sie unter Tausenden kenntlich macht. Wie Liszt da vor dem Pianoforte saß, wirkte seine Persönlichkeit, dieser Ausdruck starker Leidenschaften in dem bleichen Gesicht, auf mich zuallererst dämonisch. Er schien an das Instrument genagelt, aus dem die Töne strömten, sie kamen aus seinem Blut, aus seinen Gedanken; er war ein Dämon, der seine Seele freispielen musste.«
Wir kennen heute, nicht minder leidenschaftlich mitgerissen, andere Idole, zu denen wir hörend und sehend, fühlend und verstehen wollend aufblicken. Aber, auch davon schreibt Andersen: „Unsere Welt-Genies, sind sie nicht bloß der Modeschaum aus der Brandung unserer Zeitentwicklung? … Echte Geister müssen, jeder an seinem geistigen Platz, ihn nicht allein ausfüllen, sondern etwas mehr geben! – Sie müssen wie die Corallen noch eine Größe dem Baume der Kunst hinzufügen, oder ihre Wirksamkeit ist keine!«
Liszt hatte diese Größe. Sie hat bis in unsere Tage Menschen begeistert. ARTus