Über Thomas Brasch von Marion Brasch
ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« Nr. 622 • 11. Mai 2013
von Walter G. Goes (Bergen/Rügen)
Eigentlich wollte ich Marion Brasch, die Schwester des von mir geschätzten Dichters Thomas Brasch (1945-2001), um eine Signatur auf Seite 99 ihrer in Putbus vorgestellten Brasch-Familien-Saga Ab jetzt ist Ruhe bitten, da auf dieser von dem Poesiealbum die Rede ist, das mir vor Jahrzehnten(!) zum Lichtblick geworden war.
Gemeint ist jenes legendäre Heft 89 von 1975, in dem der damals noch vielen unbekannte Dichter Thomas Brasch poetisch »Fragen nach Idealen, Kompromissen, Verrat« stellte, die man sonst in der DDR nur hinter vorgehaltener Hand verlautbaren lassen konnte.
Der nicht genug zu rühmende, für das Poesiealbum als Herausgeber fungierende Autor Bernd Jentzsch hatte einem vielversprechenden Talent mutig die Tür geöffnet, als von einem »Großen seiner Generation« noch nicht die Rede sein konnte. Und doch, es war so gesehen offensichtlich: Hier sprach ein Unbequemer, einer, der seine Worte in die Wunden der Zeit zu legen verstand, auf dass sie diskutiert werden, wie im Papiertiger-Gedicht Nummer 11, auf der letzten Seite des Brasch-Albums: »WIE VIELE SIND WIR EIGENTLICH NOCH. / Der dort an der Kreuzung stand, / Jetzt trägt er eine Brille ohne Rand. / Wir hätten ihn fast nicht erkannt. // Wie viele sind wir eigentlich noch. / War das nicht der mit der Jimi-Hendrix-Platte. / Jetzt soll er Ingenieur sein. / Jetzt trägt er einen Anzug und Krawatte. / Wir sind die Aufgeregten. Er ist der Satte. // Wer sind wir eigentlich noch. / Wollen wir gehen. Was wollen wir finden. / Welchen Namen hat dieses Loch, / in dem wir, einer nach dem andern, verschwinden.«
Nun, nach so vielen Jahren, las Marion Brasch, das übriggebliebene Mitglied der Familie Brasch, aus ihrem Leben, das auch von ihrem ältesten Bruder Thomas spricht, der am Sosein seines verkarsteten Lebens verblutete, ausblutete. Aber WIE sie über ihn und ihre weitere Familie im Buch spricht, ist beeindruckend hohe Kunst, verweist auf eigene Souveränität und literarische Größe.
Ich bat um ihre Signatur auf dem Titel. Kein anderer Platz wollte mir nach der unter die Haut gehenden Lesung mehr einfallen. ARTus