Uwe Johnsons Gespräche mit Fluchthelfern
Uwe Johnsons Erstling, „Mutmassungen über Jakob“ (1959), ließe sich auf der puren Handlungsebene zusammenfassen als Geheimdienst-Schmonzette, in der ein intelligenter Stasi-Offizier und seine „Hundefänger“ auftreten, Kegel von Autoscheinwerfern durch die Nacht irren, Gesine Cresspahl eine Pistole besitzt und ihre große Liebe Jakob im Nebel stirbt, als er Bahngleise überquert. Dieser Eindruck wird abgefangen durch die vor allem der Tradition William Faulkners verpflichtete achronologische Komposition und durch Johnsons sperrig-prägnante Sprache.
Zudem ist der Roman weit besser recherchiert als die meisten Geheimdienstromane. Es gehört zu den großen Fragen der Johnson-Forschung, wie dieser junge Autor, der beim Erscheinen der „Mutmassungen“ gerade mal 25 Jahre alt war, das alles hat wissen können, woher er sein exaktes Bild des Staatssicherheitsdienstes in der zweiten Hälfte der 50er Jahre genommen hat.
In den nun erschienenen „Gesprächen mit Fluchthelfern“ können die Leser dem recherchierenden Autor ein paar Jahre später über die Schulter sehen, und sie können ihm in der Suhrkamp-Mediathek auch zuhören, die Gespräche sind unter www.suhrkamp.de ins Netz gestellt. Johnson hat an Silvester 1963 und am Neujahrstag 1964 mit Detlef Girrmann und mit Dieter Thieme gesprochen, zwei Mitgliedern der so genannten Girrmann-Gruppe. Diese unhierarchische Gruppe ermöglichte in den ersten Jahren nach dem Mauerbau etwa 500 Studierenden aus der DDR die Flucht in den Westen, meist nach Westberlin. Sie konnten trickreich auf die sich fortlaufend ändernden Verfahren der ostdeutschen Grenzbehörden reagieren und betrieben mitmenschliche Hilfe für ihre eigene peer group – zuerst vor allem für eingeschriebene Studenten der (Westberliner) FU, die durch den Mauerbau von der Fortsetzung ihres Studiums, von Lebenspartnern oder Verwandten abgeschnitten worden waren. / Sven Hanuschek, FR 21.7.