Von der Spiegelgasse in Zürich nach Rügen

ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« Nr. 663 • 22. November 2014

von Walter G. Goes (ARTus) • Bergen auf Rügen

Was verbindet die Schweiz mit Rügen? Man denke da nicht unbedingt an Käse!

Eher an die in der Züricher Altstadt gelegene Spiegelgasse, die mit Rügen immer mal wieder durch merkwürdige personelle Fäden verknüpft ist.

Hans Arp, Mitbegründer des Dadaismus, tagte zu Beginn des Jahres 1916 mit seinen heute weltberühmten Mitstreitern im legendären Cabaret Voltaire. Das hatte sein Domizil in der Spiegelgasse 1. Sieben Jahre später reiste Arp mit Sophie Täuber nach Sellin. Er traf sich dort mit dem MERZ-Dadaisten aus Hannover Kurt Schwitters, den die rührige Kunstvernetzerin Hannah Höch aus Berlin bereits einquartiert hatte. Man baute nicht nur Kleckerburgen am Strand, man spielte auch lustvoll mit Fundmaterialien, schuf Kunstwerke, die heute als wichtige Belege der Kunstavantgarde gelten.

Nur wenige Häuser weiter, in zwei Zimmern des Hauses der Spiegelgasse 14, logierte über ein Jahr lang (von 1916 bis 1917) der Berufsrevolutionär Lenin. Im April 1917 verließ er Zürich und fuhr mit weiteren Mitstreitern im plombierten Zug bis Sassnitz, zur Weiterfahrt nach Russland, um der Geschichte seines Landes einen revolutionären Stempel aufzudrücken, der so gesehen die Welt verändern sollte.

176 Jahre zuvor wurde im Züricher »Haus zum Waldries«, in der Spiegelgasse 11, der spätere Theologe, Philosoph und Schriftsteller Johann Caspar Lavater geboren. Als Absolvent des Collegium Carolinum in Zürich engagierte er sich zusammen mit dem nachfolgend als Maler bekannt gewordenen Füßli in der Grebel-Affäre, die das Treiben eines korrupten Landvogts angeprangerte. Ihre Flugschrift wirkte wie ein Tsunami in der kanonisierten Schweizer Gesellschaft. Lavater wie Füßli mussten auf Anraten der Familien und der Lehrer im April 1763 die Schweiz Richtung Schwedisch-Pommern verlassen, so lange, bis Gras über den Aufruhr gewachsen sei. Die Reise wurde zur einzigartigen Bildungsreise, die in Barth beim Aufklärungstheologen Johann Joachim Spalding endete und doch unerwartete Weiterungen hatte.

Ein einwöchiger Ausflug per Kutsche führten Lavater und Füßli bis nach Rügen, wo sie im gerade erbauten Boldevitzer Herrenhaus auf den jungen Maler Hackert stießen.

Was für eine noch tiefer auszulotende deutsch-helvetische Spurenlage! ARTus

Am 15. November 1741 wurde Johann Caspar Lavater geboren. Zeichnung: ARTus
Am 15. November 1741 wurde Johann Caspar Lavater geboren.
Zeichnung: ARTus