Vorbild Babeuf

ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« Nr. 493

Heinrich Heine hat 1834 den seltsamen Zustand beschrieben, der 150 Jahre später nicht nur mich betroffen machte, der letztlich hunderttausende Menschen zu mobilisieren vermochte, aufbrechen ließ zu neuen Ufern. Heine sprach von einer »bleiern deutscheste(n) Schlafsucht (die) auf dem Volke lastete«, vom herrschen »eine(r) brutale(n) Ruhe«.

Das war es, was ich immer bewusster wahrnahm, worunter ich litt. Ich fühlte mich eingepasst und weit schlimmer noch: schon viel zu sehr angepasst, frech benutzt, ausgenutzt. Jahr um Jahr suchte ich nach Ventilen, nach anderen Lebens(vor)bildern, möglichst auf Augenhöhe. Ich fand sie gelegentlich im Heute, öfter aber im Gestern und Vorgestern.

Sich der Geschichte vorbehaltlos stellen, lebendig bleiben, nur der Wahrheit verpflichtet Geschichte in all ihren Widersprüchen sondieren, analysieren, einbinden; womöglich nach Entwürfen des Widerstehens Ausschau halten.

Ich fand meine Vorbilder 1988 unter den Protagonisten der Französischen Revolution, deren zweihundertster Geburtstag so gesehen unmittelbar bevorstand, zur intensiven Auseinandersetzung einlud.

Eine Grafikmappe zur Französischen Revolution schien mir lohnend im Sinne des mich Umtreibenden. Ich ahnte nicht ansatzweise wie sehr mich das Thema bewegen, wie sehr es mich vorbereiten würde für die nachfolgende Zeit.

Neben Robespierre und Marat, von denen man sehr wohl schon in der Schule gehört hatte, kam mir bei weiteren Recherchen immer wieder der Name Babeuf unter. Wer war dieser Mensch, der, gerade mal so alt wie ich, sein Leben unter der Guillotine verlor (am 27. Mai 1797) und der noch diesen letzten Weg als »glücklicher Märtyrer« ging, trauen wir seinen letzten Schriften und den Berichten seiner Freunde.

Er wurde am 23. November 1760 in Saint-Quentin, nördlich von Paris in der picardischen Provinz geboren, »im Schlamm«, so wird er es 1793 selber formulieren, um hervorzuheben, dass er auf den harten Stufen des Elends das Leben erhalten habe. Sein Bildungshunger war immens. Das meiste eignete er sich als Grundbuchbeamter gräflicher Liegenschaften selbst an: »Im Staub der Feudalarchive entdeckte ich das abscheuliche Geheimnis der Usurpationen der Adelskaste«.

Drei Tage nach dem Sturm auf die Bastille traf Babeuf in Paris ein, wurde ein aufmerksamer Beobachter der Revolution, entwickelte Konzepte für den Kampf um eine demokratische Presse, forderte Pressefreiheit, die für die Aufklärung (und nicht Verdummung!) der Massen einstand. Bald gab er eigene Zeitschriften heraus.

Mich traf es wie ein Schlag. Wo gab es bei uns eine unabhängige Presse? Freiheiten, um die schon zwei Jahrhunderte zuvor Marat, Robespierre und eben Babeuf gekämpft, für die sie ihr Leben gegeben hatten.

Das »Bild« Babeufs, als Teil meiner Grafikfolge, war geboren. ARTus

Am 23. November 1760 wurde einer der großen Revolutionäre der Französischen Revolution geboren. Sein Name: François Babeuf. Zeichnung: ARTus