Widmung an Panizza

ARTus-Kolumne »So gesehen« Nr. 538

Ein Jahrhundertbild hat der junge Zeichner und Maler George Grosz (geboren am 26. Juli 1893 als Georg Ehrenfried Groß in Berlin) um die Jahreswende 1917/1918 auf die Leinwand gebracht. Die brutal erlebte Wirklichkeit einer kriegerischen Zeit hat die Erzählstruktur des Bildes diktiert, das er »Widmung an Oskar Panizza« nennt, wohlwissend, dass der Genannte zu den engagiertesten und kompromisslosesten Kritikern des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Deutschland gehörte und seit 1904 in einer Nervenheilanstalt sein Dasein fristete.

Über dieses Bild, dem Umberto Boccionis 1912 in Berlin gezeigte Arbeit »Der Lärm der Straße« als formale Vorlage gedient haben mag, schrieb Grosz am 15. Dezember 1917 an seinen Freund Otto Schmalhausen: »Ich male zur Zeit an einem großen Höllenbild – Schnapsgasse grotesker Tode und Verrückter, da spielt sich viel ab – der Leibhaftige reitet auf dem queren Sarg nach links ab durchs Bild, rechts übergibt sich ein Jüngling, speit er all die schönen Jugendillusionen in die Leinwand. – Oskar Panizza hab ich dieses Bild gewidmet.« Grosz war von Panizzas Unangepasstheit, von seinem Eigensinn, seinem Scharf-Sinn fasziniert und ahnte wie schnell man am eigenen Leben zerbricht.

Panizza, heute fast vergessen, hatte illustre Befürworter und Verteidiger. In Wedekinds Briefen taucht er auf. Gustav Landauer, einer der führenden Köpfe der Münchener Räterepublik, setzte sich vehement für ihn ein und Kurt Tucholsky erinnerte immer wieder an den »großen Oskar Panizza«.

Gänzlich verschollen war er nie. In der DDR konnte man in »SINN UND FORM«, der gelegentlich mit überraschenden Beiträgen aufwartenden Akademie-Zeitschrift, fündig werden. Im vierten Heft des Jahres 1980 schrieb der Musikwissenschaftler und Dramaturg an der Deutschen Staatsoper in Berlin Walter Rösler über »den Fall Oskar Panizza«. Vier Jahre später konnte Rösler den Band »Die Menschenfabrik und andere Erzählungen« im Berliner Buchverlag Der Morgen platzieren und mit einem kenntnisreichen hier anempfohlenen Nachwort zur weiteren Auslotung versehen. Elf Collagen von Reinhard Zabka, der sich rezeptiv der surrealen Collagetechnik des Max Ernst bedient (man schaue vergleichend etwa auf den Bildernovellenklassiker von 1933 »Une Semaine de Bonté«), vervollständigten das grandiose und längst überfällige Buchereignis.

Wer Panizza las, nun lesen konnte, verstand nicht nur die Zeichen vergangener Geschichte. Die Betroffenheit über den Wahn der eigenen Zeit war mit Panizza lesbar, übersetzbar und sie ist es so gesehen heute wieder. Walter Rösler bescheinigte ihm in seinen besten Werken eine »seismographische Sensibilität«, welche die kapitalistische Progression vorausahnte; von der so arg blind manch hiesige Zeitgenossen leider immer noch ergriffen sind. ARTus

Am 28. September 1921 starb in einer Nervenheilanstalt bei Bayreuth der Autor Oskar Panizza. Übermalung: ARTus