Dichter des Dennoch

ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« Nr. 482

In meiner Dokumentationssammlung über Mail-Art (Post-Kunst)-Aktivitäten auf Rügen, findet sich auch eine kleine Künstlerpostkarte als Einladung zu einer Ausstellung. Ein privater Stempel enthüllt den Absender: Martin Bernhardt, Artist(Künstler), wohnhaft in Ueckermünde, in der Ravensteinstrasse 18. Die Einladung bezog sich auf die Eröffnungsveranstaltung der Exposition »Freiheit / Gleichheit / Brüderlichkeit – zur Geschichte der Kunst und der Verfolgung einer Freundschaft«, die am 3.11.1990 im Ausstellungszentrum St. Spiritus der Hansestadt Greifswald eröffnet wurde.

Benannt waren die Freunde: Lutz Wohlrab, Dietrich Buhrow und Martin Bernhardt und in Aussicht gestellt war eine Filmvorführung, eine Performance und eine Lesung.

Erst an diesem Abend erfuhr ich ausführlicher vom »Schicksal« der Freunde, von ihren künstlerischen Initiativen in der ab Mitte der 80er Jahre fast schon kollabierenden DDR; vom Verrat, den Verhaftungen und Verhören, der staatlichen Willkür, mit der man nicht konformen Lebensentwürfen und damit unliebsamen In-Fragestellern begegnete.

Im Katalog zur Ausstellung steht unter dem 16. März 1985 auch eine Rügenfahrt zu der damals von mir initiierten Mail-Art-Ausstellung »Beziehungen / Relations« der Orangerie Putbus verzeichnet, die zu einer Initialzündung für eigene Projekte führen sollte. Auch gab es eine Kunst-Aktion auf Rügen »in einem verfallenen Gehöft«, das ein Gedicht von Martin Bernhardt zur Folge hatte und im Greifswald-Katalog erstmals publiziert wurde:

Verlassenes Gehöft

Noch stehen die Hecken
in Deckung

Das Fachwerkhaus
entdacht bei den Herbststürmen
keinem Mieter Standhaftigkeit schuldig
bricht zusammen
in sich

Nicht auffallen im Fall

Autowracks unter`m Holunder
die Ställe verlassen
das Hufscharren verhallt

Der Kuckuck ruft
die es nicht gab
die Heimat.

Nur drei Wochen nach dem Rügen-Besuch, so schlussfolgere ich nach den Katalogdaten, erfolgten die Verhaftungen der Freunde, Hausdurchsuchungen und Beschlagnahme von Drucken und Materialien.

Martin Bernhardt, der als junger Medizinstudent in Greifswald in der Gützkower Straße 70 wohnte, wurde von einer Inoffiziellen Mitarbeiterin der Stasi verraten und musste eine Haftstrafe von fünf Monaten antreten. Vom fast beendeten Medizinstudium wurde er für drei Jahre suspendiert. Nach „Bewährung“ als Hilfskrankenpfleger wurde er Facharzt für Neurologie/Psychatrie in Ueckermünde, wo er sich am 24. Oktober 2000 das Leben nahm.

Der Berliner Dichter Pietraß nennt ihn »… einen Sensiblen und Begabten… (einen) Dichter des Dennoch« und Lutz Wohlrab, der Kommilitone und Freund aus frühen Zeiten publizierte soeben in seinem Berliner wohlrab-verlag den Gedichtband »Das Maß allen Lebens ist die Axt sagt der Baum«.

Er enthält die im Nachlass gefundenen Gedichte sowie einige der Mail-Art-Karten von Martin Bernhardt.

Das Buch wird im Beisein von Freunden am 28. September in der Berliner BROTFABRIK am Caligariplatz um 20 Uhr vorgestellt.

Das freut und berührt nachdrücklich den alten Mail-Art-Kombattanten ARTus.

Erscheint heute in der Ostsee-Zeitung Rügen

Zum 10. Todestag des Arztes und Dichters Martin Bernhardt

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