»EMPÖRT EUCH!«

ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« Nr. 509

Zurück vom Geburtstag einer dieser Tage in Bergen auf Rügen 85 Jahre alt gewordenen Bürgerin, die sich von einem Frühling verheißenden Blumenmeer und der Vielzahl guter Wünsche von Alt und Jung keineswegs den Blick auf die erschütternden Fukushima-Bilder aus Japan verstellen lassen will und ein Nachdenken über Konsequenzen sogar in privatester Runde beim Kaffee darüber einfordert, widme ich mich erneut der Lektüre einer Streitschrift eines noch älteren Bürgers, des 93-jährigen Autors Stéphane Hessel.

Seit Wochen lese ich gleichermaßen voller Bewunderung und Bestürzung in dem von ihm selbst so bezeichneten kleinen »Büchlein«, das den provokanten Titel »EMPÖRT EUCH!« trägt. Auf wirklich »nur« fünfzehn Seiten (zieht man die mit dem Autor und der Verlegerin abgestimmten Fußnoten ab und auch das Nachwort der französischen Verlegerin und das Vorsatzblatt mit dem leider nur in Schwarzweiß abgebildeten Aquarell »Angelus Novus« von Paul Klee) bricht der als Stefan in Berlin geborene, heute in Paris und in Trouville lebende Schriftsteller seit Monaten Verkaufsrekorde en masse und weltweit. Man kann die Schrift bereits in 18 Ländern in der jeweiligen Landessprache ordern, sogar in Japan, wie Stéphane Hessel in einem Interview mit Rudolf Balmer, Frankreichredakteur der »taz«, am 12. Februar verkündete. Hessel: »… auch in Japan fragen sich die Leute, wie wir regiert werden, wie sich die Welt organisiert, und ob wir genug zum Erhalt unseres Planeten tun.«

Nach nur einem Monat wissen wir, dass wir uns nicht rechtzeitig, nicht genug »empört« haben, dass wir viel zu lange, zu einseitig wirtschafts- und finanzhörigen Politikern sowie eitel fortschrittsgläubigen Wissenschaftlern blind vertraut haben, auch der eigenen Bequemlichkeit wegen.

Hessel: »Wir können nicht einfach so… weitermachen nach der Devise ‚Immer mehr und mehr’, sonst ist es vielleicht aus für uns in fünfzig Jahren. Wer dies erkennt, muss sich als Weltbürger empören. Das ist die einzige Botschaft dieses Büchleins.«

Für Millionen Bürger Japans kann das »Aus« schon in wenigen Tagen eintreffen. So gesehen hätte die Wirklichkeit Hessels Broschur um Jahrzehnte eingeholt.

Nach Hessel ist die Macht des Geldes »niemals so groß, so anmaßend, so egoistisch« wie heute gewesen, »mit Lobbyisten bis in die höchsten Ränge des Staates. In vielen Schaltstellen der wieder privatisierten Geldinstitute sitzen Bonibanker und Gewinnmaximierer, die sich keinen Deut ums Gemeinwohl scheren. Noch nie war der Abstand zwischen den Ärmsten und den Reichsten so groß. Noch nie war der Tanz um das goldene Kalb – Geld, Konkurrenz – so entfesselt« und die sträfliche Laxheit gegenüber den Herausforderungen der Natur so besorgniserregend.

Werden wir endlich zum Weltbürger! Empören wir uns! ARTus

Der 1917 in Berlin geborene, heute in Frankreich lebende Autor Stéphane Hessel hat mit einem kleinen Buch den großen Nerv unserer Zeit getroffen.. Zeichnung: ARTus

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